Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Zauberhaft

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Tschaikowsky-Zyklus: Gergiev und das Mariinsky-Orchester (1)

Von Barbara Doll, München

Nach dem ersten Satz aus Tschaikowskys vierter Symphonie schleudert ein Zuhörer ein erstaunlich ernstes "Bravo" Richtung Podium. Das mag begründet sein und lässt einige Musiker-Gesichter auch mal grinsen - noch besser gepasst hätte es aber nach dem ersten Satz aus Tschaikowskys erstem Klavierkonzert. Der japanische Pianist Nobu Tsujii, von Geburt an blind, spielt es so poetisch und sensibel, so aus dem Klang heraus, dass das vielfach runtergenudelte Wunschkonzert-Stück zum Erlebnis wird.

Es ist das Eröffnungskonzert von Valery Gergievs Tschaikowsky-Zyklus. Nach Schostakowitsch, Strawinsky, Prokofjew und Rachmaninow ist es der fünfte große Russe, dem er mit seinen Orchestern, dem Mariinsky-Orchester St. Petersburg und den Münchner Philharmonikern, einen Zyklus in der Philharmonie widmet - an nur einem langen Wochenende. Das Mariinsky-Orchester macht am Freitag den Anfang mit der selten gespielten ersten Symphonie "Winterträume", deren Titel nur vordergründig nach Marzipan-Zimt-Tee klingt. Die Weite der ersten beiden Sätze spannen die Streicher dicht und intensiv auf - als tiefe, traumverlorene Innenschau.

So erweisen sie sich als ideale Partner für Nobu Tsujii, der sich die Musik übers Hören verinnerlicht hat und dessen Spiel auch eine Schule des Hörens ist, für Publikum und Orchester: Die rauschenden Kaskaden des Klavierkonzerts, über die andere Pianisten drüberwischen, spielt er bis ins Detail ausgeformt und kristallin. Sein zarter, lyrischer Anschlag beschert zauberische Stimmungen. Zugleich fegt er mit aufgedrehter Virtuosität durch die Kadenz. Was an Nobu Tsujiis Spiel fasziniert, ist neben der exzellenten Technik auch etwas Freies, Leichtes, Kindliches. Es gibt Ovationen und als Zugabe "Clair de lune". In der vierten Symphonie zeigt Gergiev die große Spannweite von Tschaikowskys Gefühlswelt: Kraftstrotzendes Blech bringt das unerbittliche Fatum zum Ausdruck; Zuflucht findet die Seele im innigen Gesang der Streicher.

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Quelle:
SZ vom 11.02.2019
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