Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Zartes Mondschaf

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Lustige Tiere beim Staatsorchester-Themenkonzert

Von Egbert Tholl, München

Aus dem Geräusch der Lüftung heraus emanzipieren sich zarte Perkussion-Klänge, und dann ist die Maus da. Die Mitternachtsmaus, ein scheues Tierchen, schwer zu fangen, es huscht vorbei. Hingegen: Der Höllengaul und der große, weiße Geist, die benehmen sich ganz und gar opernhaft, große Stimme, großer Ton. Das ästhetische Wiesel ist da eher wieder auf Seite der Mitternachtsmaus, sitzt auf einem Kiesel, inmitten Bachgeriesel, bei ihm die Piccoloflöte.

Klar: Christian Morgenstern. Seine "Galgenlieder" hat Sofia Gubaidulina vor 20 Jahren vertont, ganz und gar hinreißend, für eine Stimme und vier Instrumentalisten, die Flöte spielen, Bajan (also Akkordeon), Kontrabass und Schlagzeug. Beim zweiten Themenkonzert des Staatsorchesters, dieses Mal im großen Saal des Literaturhauses, tun dies Sara Tenaglia, Predrag Tomić, Wieland Bachmann und Carlos Vera Larrucea. Und die Mezzosopranistin Barbara Höfling singt. Nein, sie gurrt, flüstert, schmeichelt, haucht, dann bricht sie auf in Gefilde großer Oper, kehrt gleich wieder zurück, deklamiert, rezitiert. Jeden Einfall Gubaidulinas kostet sie mit Lust aus, betont ganz selten die Komik, denn die ist ja ohnehin da, in der Musik dieser meist zarten Gespinste und im Text. Höfling scheint beides innig zu lieben, manche Zuhörer sind verdattert. Rehlein mit kleinen Zehlein, ein Vierviertelschwein, ein stummer, singender Fisch und schließlich das Mondschaf - die Menagerie ist so vielgestaltig wie die vielen kleinen poetischen Ideen der Musik. Es herrscht ein lustiger, lichter Zauber.

Themenkonzert heißt, es gibt einen Vortrag eines Professors vom Max-Planck-Institut. Diesmal Winfried Menninghaus vom Institut für "Empirische Ästhetik" in Frankfurt, dem einzigen seiner Art. Er spricht über die Lust an negativen Gefühlen und macht gleich deutlich, was das mit dem eben Gehörtem zu tun hat, nämlich nichts. "Schlechte Gefühle binden Aufmerksamkeit." Stimmt. Schlecht sei stärker als gut. Stimmt nicht.

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Quelle:
SZ vom 02.03.2018
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