Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Wimmelbild

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Stephanie Felbers Performance "(In)Security" im Schwere Reiter

Von Sabine Leucht, München

Als "Premiumgast" verleiht man seinen Herzschlag oder seinen Atemrhythmus, der über medizinisch-technische Umwege den Puls des Geschehens mitstrukturiert. Das kann man dann hören oder sehen, wobei in Stephanie Felbers "(In)Security" ohnehin ein Überangebot an Sinneseindrücken herrscht. Zwischen großen Holz-Glas-Kuben, in denen die Herrinnen und Herren über der hyperkomplexen Technik sitzen, und einer Vielzahl geheimnisvoller Instrumente auf Sockeln, kauern fünf Tänzer. Und anders als in ihrem gruppendynamisch-agitatorischen "Vague de corps" erkennt man die Profis zwischen den Besuchern des Schwere Reiter sofort: An ihrer uniform schwarzen Schi-Unterwäsche mit neongelben Nähten und der Angst, die sie niederzudrücken scheint.

Erst nach und nach entfalten sich die Körper von Sunday Israel Akpan, Susanne Grau, Nikos Konstantakis, Ludger Lamers und Elsa Mourlam, kommen die offenbar verunsicherten Seelen aus der Deckung und strecken sich Wirbelsäulen und Arme wie aus der Knospe schießende Blütenblätter in die Höhe. Und damit wird nach und nach der ganze Raum von der Simulation einer Kunstausstellung zum multiperspektivischen und -sensorischen Wimmelbild, in das über kleine Bildschirme zusätzlich noch Filmaufnahmen vom Geschehen flimmern, die teils auch enthüllen, was einzelne Tänzer-Zuschauer-Paare in einem verspiegelten Kubus teilen. Das hat mit Stift und Papier zu tun, auch wenn es wie ein Porno klingt - oder mit einem Geburtstag in Nigeria, dessen vermeintliche Sicherheit durch die Massenentführung von Mädchen durch die Terrororganisation Boko Haram torpediert wurde.

Der Abend ist eine kaleidoskopische Studie voll von vergrößerten Alltagsgesten des Einander-Stützens und Auffangens, des triumphierenden Aufstampfens und der behutsamen Konfrontation durch Berührungen und Blicke. Stephanie Felber hat sich in den vergangenen Jahren in diese zwischenmenschlichen Dynamiken verbissen und ihre Tänzer gut darauf vorbereitet, auf Stimmungen der Zuschauer oder Freiflächen im Raum zu reagieren. Was man jedoch mit nach Hause nimmt, bleibt merkwürdig vage. "(In)Security" ist noch bis Sonntag, 13. Oktober, im Schwere Reiter zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2019
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