Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Wie die Feuerwehr

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Die Spätstarterin Nora Boeckler in der Lach- und Schieß

Von Oliver Hochkeppel, München

"Ihr möchtet nicht mit mir tauschen", verkündet Nora Boeckler dem Publikum in der Lach- und Schießgesellschaft zum Auftakt ihres Programms "5-Sterne-Fiasko". Einmal, weil sie seit Jahren wegen zahlloser Angststörungen in Therapie sei - ausgelöst bereits in frühester Jugend auf dem schwäbischen Dorf von der sie tagsüber betreuenden, extrem hässlichen Nachbarin ("bei ihr wurde dauernd eingebrochen - nicht, um was zu stehlen, sondern um die Vorhänge zuzumachen"). Und dann wegen eines zurückliegenden Wochenendes mit "acht Nahtoderfahrungen". Eigentlich ein Wellness-Weekend-Geschenk ihres Freundes, das sich schnell als Mogelpackung entpuppt: Statt Drei-Sterne-Flughafen-Lounge Flix-Bus, statt Singapur Sigmaringen und statt mit dem Freund mit der Mamma. Auf diesen Trip nimmt sie den Saal nun mit.

Und das geht im ersten Teil ab wie die Feuerwehr. Weil Boeckler das Timing im Griff hat und zündende, oft gekonnt hinterhergeschickte Pointen setzt - wunderbare etwa bei den immer wieder eingestreuten Ängsten. Vor allem aber, weil die ausgebildete Schauspielerin - die immer öfter auch in Filmen und Serien zu sehen ist - ihre Figuren hinreißend spielt. Von der verhuschten Esoterikerin über die derbe Handy-Tussi bis zum grandiosen Busfahrer Manfred - dick, klein, rheinisch keilt er am Ende die weiblichen Passagiere per Kontaktanzeigen-Durchsage ("In meiner Freizeit mache ich gerne etwas mit Alkohol").

Leider kann Boeckler das Versprechen nach der Pause nicht ganz einlösen. Von den kunstvoll eingeführten Nahtoderfahrungen etwa ist keine Rede mehr, die ganze Kur-Handlung verplätschert sich in den derzeit viel zu oft bemühten Wellness- und Veganer-Gags und steuert auf ein liebloses, schnell abgehandeltes Ende zu. Vor der Pause hätte man darauf gewettet, doch nun wird nichts mehr aufgebrochen, keine zweite Ebene eingebaut. So gesehen hat die hochtalentierte Spätstarterin Nora Boeckler - es ist dies erst ihr zweites Solo-Programm - fürs nächste Mal noch Luft nach oben.

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Quelle:
SZ vom 16.01.2019
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