Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Werkstatt-Mühen

"Krise ist immer" beim Augsburger Brechtfestival

Von Egbert Tholl, Augsburg

Ende Februar 1931 schreibt Walter Benjamin an Bertolt Brecht einen Brief, mit dem er seinen Ausstieg aus dem gemeinsamen Vorhaben begründet. Ein Satz daraus: "Die Zeitschrift war geplant als ein Organ, in dem Fachmänner aus dem bürgerlichen Lager die Darstellung der Krise in Wissenschaft und Kunst unternehmen sollten." Wenn man im Jahr 1931, in einer Zeit eklatanter Wahlerfolge der Nationalsozialisten, als jüdischer Intellektueller von Krise schreibt, dann ist das kein Firlefanz. Außer in Augsburg.

Dort formt Friederike Heller freie Zeit von einer knappen Stunde Dauer in eine Art geistige Werkstatt einer Zeitung, die nie erschien, um. Dazu hat Peter Thiessen Musik erfunden im Brecht-Weill-Eislerschen Urstil und spielt sie auch am Klavier, Philipp Hochmair dampft sich in seiner unabdingbaren Art durch Brechtsche Volten und Friederike Heller selbst widmet sich Walter Benjamins Texten in einer Art des Vorlesens, die kaum nachvollziehbar macht, dass dieser traurige und herrliche Mensch mit seinem Denken einst faszinierte und seine Texte es heute noch tun.

Aber: Im Versuch des Nachstellens der drei offenbar stattgefunden habenden Redaktionssitzungen auf der Probenbühne des Augsburger Theaters befreit Heller nonchalant das Brechtfestival von seiner die letzten Jahre währenden falschen Hagiografie des Dichters der Stadt. Ne, Brecht hat auch viel Quatsch geredet, und das am Tag der Frau zu entlarven, muss für Heller ein Mordsspaß gewesen sein. Das allein ist ja vielleicht schon Grund genug für die "Aufführung" namens "Krise ist immer". Und außerdem: Wer wusste vorher schon, dass Brecht und Benjamin bei Rowohlt eine Zeitung machen wollten - naja, wohl eher ein Essayblatt. Dass sie dafür alle aufrechten linken Intellektuellen Berlins versammelten, dass sie unter diesen werteten und auswählten - übrigens der lustigste und griffigste Teil des Abends. Haben wir schon über Thomas Mann gesprochen, etwa? Thomas Mann sei "Ironie und Nuance", was Brecht natürlich ablehnt, als literarischer Haudraufundschluss, worauf Benjamin das Weite sucht. Stimmt so nicht, aber weiß man's?

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Quelle:
SZ vom 10.03.2017
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