Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Weltretten ist schwer

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Das "Pathos, Paradies Camp" verblüfft die Besucher des Kreativquartiers

Von Hannah Vogel, München

Am Anfang steht ein Behördengang. Im schwarzen, weichen Ledersessel versinkt der Besucher, während er gewissenhaft einen Fragebogen abarbeitet. Superheldenname? Superheldenfähigkeiten? Erzfeind? Im Hintergrund Musik wie bei einer nervtötende Warteschleife. Wer "The Incredible Agency" verlässt, bricht auf, um die Welt zu retten.

Diese Agentur ist die erste Station des "Pathos, Paradies Camp" und Teil einer zweijährigen Projektreihe. Beteiligt waren neben dem O-Team, einer Stuttgarter Theatergruppe, auch das Pathos München und Akteure der freien Schauspielszene. Zwölf Tage lang lebten und arbeiteten sie gemeinsam auf dem Schwere-Reiter-Gelände. Es war auch ein Experiment für das Kreativquartier, das dort in den kommenden Jahren entstehen soll. Wie lässt sich der Alltag mit künstlerischem Schaffen in Einklang bringen? Das Resultat, das sie nun an zwei Abenden präsentierten, mutete nicht an wie Theater, sondern eher wie installationsartige Stationen. Diese sind durch das Superheldenthema verknüpft. Der Besucher ist Teil der Inszenierung, eine unberechenbare Komponente.

Ein skizzenhafter Lageplan zeigt die einzelnen Räumlichkeiten, die mysteriöse Namen wie "Fear Room" oder "Trans-World Services" tragen, was die aufkeimende Verwirrung nicht mindert. Verwunderung über die skurrilen Situationen, die einen erwarten, ist erlaubt, vielleicht sogar erwünscht. Wichtig ist nur, sich darauf einzulassen. Nur dann erlebt man einen phantastischen, fast bewusstseinserweiternden Abend, der schwer in Worten zu fassen ist. Auf die mentale und physische Ausbildung zum Superheld folgen beispielsweise ein Bad in Drachenblut, um wie Siegfried aus dem Nibelungenlied unverwundbar zu werden, oder ein Getränk in der "Telepathos Bar", in der ein Blick mehr sagt als tausend Worte.

Über das Ende des Abends dürfen die Besucher im "War Room", der Planungszentrale der Schauspieler, entscheiden. Statt einer lebhaften Diskussion herrscht jedoch einvernehmliches Schweigen, das nur durch Einzelne gebrochen wird. Das Publikum wirkt unentschlossen, fast überfordert nach der Flut an Sinneseindrücken. Die Schauspieler akzeptieren das. Denn er gehört dazu, der unberechenbare Faktor Besucher.

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Quelle:
SZ vom 23.09.2015
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