Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Wahnsinn vermitteln

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Die "Jazzrausch Bigband" mit einer famosen Suite

Von Oliver Hochkeppel, München

Sie lernten sich in der Bayerischen Landesjugendjazzband kennen, der Saxofonist Martin Seiler, der Posaunist Roman Sladek und einige andere Musiker, die jetzt in Sladeks Jazzrausch Bigband sitzen. Das seit drei Jahren bestehende Ensemble ist selbst nach internationalen Maßstäben eine der ungewöhnlichsten Bigbands. Wegen ihrer Techno-Jazz-Abende (was jetzt sogar eine Einladung ans New Yorker Lincoln Center zur Folge hatte), aber auch wegen ihrer von Gästen geschriebenen Themenprogramme vom verjazzten Bruckner bis zur Kooperation mit der Rapperin Fiva. Jetzt also kam der alte Kollege Martin Seiler dran, der inzwischen in New York lebt, und sich dort passenderweise vor allem als Komponist für größere Ensembles einen Namen macht.

Eine fünfteilige Suite unter dem Titel "Das Ende der Welt" hat er für die Jazzrausch Bigband geschrieben, "so, wie wir sie kannten" muss man sich dazudenken. Denn Seiler will seine Eindrücke und Stimmungen angesichts des galoppierenden Weltenwahnsinns wie des US-Wahlkampfs vermitteln. Das gelingt ihm prächtig, vor allem dank einer monströsen Dynamik und vieler guter Einfälle - etwa schräge Klavierakkorde als "Breaking News"-Parodie zum Schluss eines jeden Teils. Bassist Maximilian Hirning und Pianist Leo Betzl (mit alleine 51 Notenseiten!) müssen ebenso Schwerstarbeit leisten wie die erste Trompete oder der Saxofonsatz, wenn Schubert auf Ellington-Akkorde und "Koyaanisqatsi" auf "James Bond" trifft.

Mit gerade mal einem Probentag im Kreuz bewältigten die 18 Musiker das interessante und anspruchsvolle, fatalerweise wahrscheinlich nie wieder zu hörende Opus geradezu unglaublich gut. Ebenso wie nach der Pause ältere Kompositionen von Seiler, von mittelalterlich Angehauchtem über ein strahlendes "You Are So Beautiful"-Arrangement bis zum dramatischen "Abschied". Da ist ein phänomenaler Klangkörper gewachsen. Wenn es die Jazzrausch Bigband nicht schon gäbe, müsste man sie erfinden.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2017
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