Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Vor dem Rumms

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Andreas Wiedermann macht aus dem "Zauberberg" tolles Theater

Von Egbert Tholl, München

Plumps, Hans Castorp stolpert auf die Bühne des Teamtheaters, schickes Sakko, zwei Koffer, junges Gesicht. Ein unbefleckt Staunender. Bis zuletzt wird der Hauptdarsteller David Thun diese Haltung beibehalten, ein bürgerlicher Parsifal, in dessen Innerem es ein wenig brodelt, während die Welt auf einem Vulkan tanzt.

Andreas Wiedermann bringt Thomas Manns "Zauberberg" auf die Bühne, nicht als weltentrückte "Fülle des Wohllauts", sondern als Paraphrase des Untergangs eines Europas, das im Weltkrieg zu Staub zerstiebt. Am Ende rummst es dann auch gewaltig. Aber freilich, Wiedermann erzählt auch den Roman und die Kranken- und Geistesgeschichten darin sehr genau, manchmal wie ein Live-Hörspiel, aber stets so direkt und kurzweilig, dass man die Dauer der Aufführung - drei Stunden ohne Pause - gar nicht merkt. Der Aufwand ist gewaltig: Zwölf Menschen auf der Bühne, ein BR-Sprecher als Erzähler aus dem Off, ein "Kurorchester" aus zwei Musikerinnen und einem Musiker, das Atmosphäre schafft, zum Tanz und fürs Gemüt aufspielt, manchmal großstädtisch, dann wieder bergweltverloren sehnsuchtsvoll.

Wiedermann hat eine bemerkenswerte Kollektion an Typen versammelt, skurrile wie Sönke Küper als Zwergenfaktotum und Andreas Niedermeier als Assistenzdoktor, feine wie Eva-Maria Piringer als nicht sonderlich fromme Krankenschwester, gröbere wie den dröhnenden Clemens Nicol als Oberarzt oder Matthias Lettner, der eher verwaschen, aber mit Verve den Hedonisten Peeperkorn spielt. Und Christina Matschoss ergeht sich in der dekadenten Erotik der Clawdia Chauchat.

Der Glanz der Aufführung, in die Wiedermann Grotesken vom Untergang einer kultivierten, abendländischen Gesellschaft mischt, ist Constanze Fennel. Sie spielt Lodovico Settembrini, den unerschütterlich optimistischen Aufklärer, den Musik beim Denken stört. Fennel stattet ihre Figur mit einem wunderbaren, italienischen Akzent aus, mit Wärme und klarem, leuchtenden Geist.

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Quelle:
SZ vom 21.01.2019
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