Kurzkritik:Volle Pracht

Bernard Haitink dirigiert das BR-Symphonieorchester

Von Andreas Pernpeintner

Damit sich Bernard Haitink etwas schonen kann, übernimmt sein Assistent Nuno Coelho beim Konzert des BR-Symphonieorchesters im Gasteig die Leitung der ersten Darbietung. Zeitlich ist der Erholungseffekt nicht enorm; das Längenverhältnis von Beethovens "Meeres Stille und Glückliche Fahrt" und der Neunten Symphonie ist sehr einseitig. Doch für Coelho bietet sich die Gelegenheit, auf großer Bühne ein mächtiges Ensemble - BR-Chor inklusive - anzuführen. Er nutzt sie beredt, lässt die anfängliche Ruhe fließen und befeuert die Musik anschließend mit zackiger Gestik. Das ist musikalisch ausdrucksstark auf den Punkt gebracht.

Was aber soll man eineinviertel Stunden später nach der Symphonie sagen? Die Philharmonie steht. Gewiss, darin kommt Ehrerbietung gegenüber dem bald 90-jährigen Haitink zum Ausdruck. Aber auch das Glück über seine Interpretation, die, so der Eindruck, genau jene Wirkung entfaltet, die Beethoven in seine Partitur hineinkomponiert hat. Nicht mehr, nicht weniger - mehr kann man sich nicht wünschen. Ob in Haitinks ruhigen Bewegungen in jeder Sekunde die dezidierte Impulskraft liegt, die die Koordination perfekt macht? Wenn überhaupt, wären das nur winzige Irritationen, denn die Präzision, mit der musiziert wird, ist enorm. Das gilt besonders für den zweiten Satz mit seinen feingliedrigen Streicherstimmen und den markanten Pauken-Einsätzen. Danach wahrt Haitink beim Adagio den absoluten Frieden. Wunderbar. So homogen ist das berühmte Finale natürlich nicht. Beethoven pflegt die Lust am Nicht-Komponieren von Übergängen, treibt das Solistenquartett (sehr gut: Sally Matthews, Gerhild Romberger, Mark Padmore und Gerald Finley) sowie den famosen BR-Chor in Tonhöhen, in denen man sich die Freude, von der zu singen ist, erarbeiten muss. Aber so ist er eben komponiert, dieser Symphoniesatz aller Symphoniesätze, und seine Pracht kommt voll zur Geltung.

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