Da diese Rohrflöte schon vor 5 000 Jahren bekannt war, zählt die Ney zu den ältesten Musikinstrumenten. Vielleicht haftet ihrem warmen Klang auch darum jene friedliche Ursprünglichkeit an, die die Philharmonie erfüllte, als das Pera Ensemble mit ihr die dort uraufgeführte symphonische Dichtung "Divan" für Orchester, orientalische Instrumente, Gesangssolisten, gemischten Chor und Sprecher des Münchner Komponisten Mehmed C. Yeşilçay eingeleitet hatte. "Herr mache mir Raum in meiner engen Brust!", sprach der Schauspieler Herbert Knaup in solche Ursprünglichkeit hinein, und zitierte damit sowohl aus dem Koran als auch aus einem Brief von Johann Wolfgang Goethe, der in seinem vor 200 Jahren erschienenen "West-östlichen Divan" ein Loblied auf den Islam anstimmte. Auch, wenn er sich dem im Islam geltenden Alkoholverzicht zum Trotz als Weintrinker bekannte: "Der Trinkende, wie es auch immer sei, blickt Gott frischer ins Angesicht." Goethe folgend gelingt auch Yeşilçays Musik eine Verschmelzung von Orient und Okzident. Die orientalischen Instrumente des türkischen Pera Ensembles treffen auf den westeuropäischen Klang der Münchner Symphoniker. Gesanglich begleitet vom Münchner Domchor und der Capella Cathedralis sowie vom Tenor Bryan Lopez Gonzalez und der Sopranistin Marie-Sophie Pollak, deren vokale Himmelsflüge allein schon jeden Zweifel an der Erhabenheit von Goethes "Divan" beseitigt hätten.
So wunderbar also kann ein interkulturelles Miteinander klingen, in das dann aber geradezu tagesaktuell grausam aus Goethes "Faust" hinein donnerte: "Nichts bessres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen", rezitierte Gonzales aus dem Theaterstück, derweil im Hintergrund die deutsche Nationalhymne zerfloss. Damit weckt Yeşilçay nicht nur ein Interesse an Goethes "Divan". Er weist auch auf die ungebrochene Aktualität des Dichterfürsten hin.