Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Überwältigend

Mariss Jansons und die BR-Symphoniker

Von Paul Schäufele

Nach dem "Fröhlichen Beschluss" erschallt zum ersten Mal Jubel. Das mag an der temperamentvollen Wendigkeit liegen, mit der das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks das Rausschmeißer-Finale der "Vier sinfonischen Zwischenspiele" von Richard Strauss gespielt hat. Wahrscheinlich ist das Publikum im Herkulessaal einfach auch froh, Mariss Jansons nach seiner Erholungspause wieder am Pult zu sehen. Mit Pomp und Schwung macht er die orchestralen Stücke aus Strauss' Opernkomödie "Intermezzo" zur Symphonie en miniature. In "Träumerei am Kamin" - ja, der Satz duftet nach Edelkitsch - gelangt Jansons bei absoluter Transparenz zu einer Klangfülle, dass man meinen möchte, die Töne greifen zu können.

So eingestimmt war kaum jemand enttäuscht darüber, dass für die erkrankte Diana Damrau ein Ersatz gefunden werden musste. Zumal Sarah Wegener die sechs Strauss-Lieder so naturschön und mühelos interpretiert, dass auch sie nach der Zugabe kaum von der Bühne gelassen wird. Mit warmem Timbre und rundem Ton erreicht sie einen schwebenden, zugleich flexiblen Ausdruck. Mit Intuition für Stimmungen lässt sie das "Ständchen" zum subtil erotischen Lockgesang werden, wo "Wiegenlied" durch naive Zartheit bezaubert, unterstützt durch die filigrane Orchester-Begleitung.

Daran wird man sich noch kurz erinnern, wenn das Orchester mit Brahms' vierter Symphonie wieder einsetzt, als käme sie von weit her. Und dann, plötzlich, ist sie so präsent, direkt, frei von romantischem Singsang. Brahms griff hier in den Modellbaukasten klassischer Symphonien, setzte die Teile aber anders zusammen als erwartet. Jansons präsentiert den Satz in seinem Ideenreichtum, aber auch seiner Disparität: auftrumpfender Jubel neben melancholischem Wiegen neben ungarisch angehauchten Konsonanzketten. Jeder Ton wird herausgemeißelt, keine Sekunde fällt die Spannung, nicht im herben Andante moderato, nicht im dritten Satz, einem Scherzo in leichtfüßigen Riesenschritten. Im Finale, der strengen Chaconne, ist dieser Ansatz, gleichsam in die Tiefe zu spielen, extrem. Was bei anderen schwerfällig wirkt, geht bei Jansons als große Geste auf: einen Widerstand spürbar zu machen, der überwältigend wirkt.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2019
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