Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Tief ins Herz

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Die "Winterreise" als szenischer Liederabend von Leonore Laabs

Von Egbert Tholl, München

Kräftig wuchtet der Pianist das Ende von Schuberts As-Dur-Impromptu ins Hofspielhaus, voll erfüllt vom Virtuosendasein, die Dame in der ersten Reihe ist verzückt. Mit dem letzten Ton springt sie auf, will dem angebeteten Musiker einen Strauß Rosen überreichen. Aber was ist das, der küsst lange seine Notenumblätterin. Die Dame stürzt in tiefste Verzweiflung. Und singt Schuberts "Winterreise".

Und das macht Leonore Laabs mit ergreifender Intensität. Eigentlich ist sie eine Opernsopranistin, und es fasziniert vom ersten Lied an, mit welcher Präzision sie die Kraft ihrer Stimme zurücknimmt. Man ahnt, hinter jedem Ton steckt eine Urgewalt, zwei sehr richtige Male bricht sie für einen kurzen Moment hervor. Ihr Vibrato ist gerade so groß, dass die Stimme herrlich trägt; man versteht jedes Wort. Sangeskunst wie aus verloren geglaubten Zeiten. Die Lieder werden zu plastischen Erlebnissen, einige hört man wie neu. Andreas Ruppert begleitet sie mit zärtlicher Achtsamkeit, und so entsteht eine berückende Intimität, die einen nicht auslässt.

Björn Kruse hat mit Laabs die Geschichte einer verlassenen Frau entwickelt. Dafür braucht es gar nicht viel. Einen Brautschleier, den Laabs zerschneidet, die Rosen, die vernichtet werden, Briefe ins Nichts, (selbst-)zerstörerische Wut. Zunächst spielt Laabs die Verzweiflung abgrundtief und kompromisslos aus, dann kommen von der "Post" an andere Farben dazu, frohe Erinnerungen, manische Hoffnungen, Rastlosigkeit. Die Post ist ein Selfie-Video an den einst Geliebten, postuliert Lebenslust und Freude. Die exakt hingetupften Szenen einer emotionalen Reise wirken hochassoziativ und münden in herzzerreißende Einsamkeit. Vor dem "Leiermann" stirbt die Frau, die Laabs spielt. Das Lied singt sie als Tote. Jedes Wort, jeder Ton trifft ins Herz (weitere Aufführungen gibt es am 19. Dezember in der Pasinger Fabrik, am 23. Dezember im Hofspielhaus sowie am 11. Januar in der Kultur-Etage Messestadt und am 3. Februar in der Seidlvilla).

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Quelle:
SZ vom 11.12.2018
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