Kurzkritik: Theater:Viva Revolution!

Ein Pracht-Gastspiel am Resi: Heiner Müllers "Auftrag"

Von Egbert Tholl

Schon der glitzernd rote Ballroom-Vorhang verheißt Großes. Es wird sich erfüllen, doch erst kommt Heiner Müller selbst. In Gestalt von Jürgen Kuttner, neben Tom Kühnel verantwortlich für diesen prächtigen, technisch stupenden Abend, der für zwei Tage vom Schauspiel Hannover ins Residenztheater reiste. Kuttner trägt eine Heiner-Müller-Brille, tut so, als spräche er, aber der, dessen Stimme man hört, ist Heiner Müller selbst, der sein ganzes Stück "Der Auftrag" 1980 selbst eingesprochen hat. Die Originaltonspur, unterbrochen von einer sensationellen Ausnahme, läuft die ganze Aufführung durch, als Fundament der Inhaltlichkeit, auf dem sich ganz erstaunliche, sehr lustige und ungemein kluge Dinge ereignen.

Es rumst im kleinen Graben vor der Bühne, die Band Die Tentakel von Delphi knallt eine Pogopunkrevolutionsmusik heraus, und zur Russendisko tanzt ein Matrose des Panzerkreuzers Potemkin mit einer roten Fahne. Damit ist die enorme Bandbreite festgelegt. Auf der einen Seite die knarrende Stimme Müllers, undramatisch, unideologisch, stur. Auf der anderen ein Zirkus der Revolution, in dem Bürger als Teekanne und Teetasse auftreten, die drei verlorenen, knallbunt in den Farben der Trikolore gehaltenen Revolutionäre, die auf Jamaika einen Sklavenaufstand anzetteln sollen, den nicht einmal die Sklaven selbst haben wollen. Dazu gibt es viel Zauberei, Aberwitz im zynischen Abgesang auf alle Revolutionen, es gibt einen wunderschönen Engel der Verzweiflung (Sarah Franke) und Corinna Harfouch.

Sie ist Weißclown und Berichterstatterin, besucht die verschrobenen Ikonen der Revolution im Hinterzimmer und erzählt, leicht sächselnd und mit dem Aberwitz großer Entrüstung und Verblüffung, von einer Fahrt im Aufzug. Die war von Müller einst vielleicht gedacht als ein kafkaesker Gang zu Honecker, der Nummer Eins der DDR, wird aber bei Harfouch/Kühnel/Kuttner zu einem grandiosen Nachobenstrampeln, einer brillanten und verschrobenen Metapher aufs Dasein an sich. Mehr Kuttner am 7. April: der Videoschnipselabend "65 Jahre nichtnationalsozialistisches Fernsehen" im Marstall.

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