Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Sturer Star

Der Dirigent Valery Gergiev forscht an Beethoven

Von Egbert Tholl

Valery Gergiev erweist sich als echter Bürger Münchens. Während der Wiesn geht es in der Stadt nicht sonderlich subtil zu, und so dirigiert er auch dieses Abo-Konzert der Münchner Philharmoniker. Richard Strauss' "Eulenspiegel" wirkt tatsächlich wie eine akustische Momentaufnahme von einem besoffenen Volksfest, hemdsärmelig, derb. Und irgendwie müde im Kopf - das haben die Philharmoniker, auch unter Gergiev, schon mit bedeutend mehr Witz und Esprit gespielt.

Robust geht es weiter, mit Rodion Shchedrins zweitem Klavierkonzert, das man sich hier ungefähr so vorstellen muss wie die Musik zu einem Stummfilm über ein Stahlwerk, Russland, Ende der Zwanzigerjahre, und voll mit euphorischen Arbeitern. Also irgendwie atavistischer, in die Jahre gekommener Fortschrittsglaube, in seinen interessantesten Momenten voller Irrsinn. Garniert ist das Ganze mit ein bisschen altmodischem Jazz, den die Philharmoniker aber lässig rüberbringen, während Denis Matsuev am Klavier verschiedene Arten ausprobiert, wie dieses mit zwei Händen allein am besten zu zerlegen sei. Im dritten Satz liefert er dann eine prägnante Studie über das Suchen und Nichtfinden interessanter Musik, während Valery Gergiev in neue Dimensionen tumulthafter Sturheit vordringt.

Stur bleibt Gergiev auch bei seinem ersten Beethoven als Philharmoniker-Chef, der "Eroica". Sorgsam rührt er Haupt- und Nebenstimmen zu einem homogenen Gebilde zusammen, in dem sich allein die Hörner eine rhetorische Relevanz erobern können. Motive wiederholt er ohne die geringste dynamische Variation, jede Phrasierung ordnet er allein dem Klang unter. Der ist zwar wirklich dunkelschön, aber mit dem, was sich in dieser Aura abspielt, hat Gergiev an diesem Abend wenig zu sagen. Gefühlt die längste "Eroica" seit langem, ebenso die dickste, was nicht allein an der Besetzung (16 erste Geigen) liegt, sondern auch an einer überraschenden Freude Gergievs an spätromantisch anmutenden Klangwolken.

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Quelle:
SZ vom 22.09.2016
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