Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Stotternder Start

Nikolai Tokarev im Herkulessaal

Von Andreas Pernpeintner

Als dieser Abend im Herkulessaal mit der dritten Zugabe der Russischen Nationalphilharmonie zu Ende geht (am schönsten war gleich die erste: Jean Sibelius' zarter "Valse triste"), hat man ob der zweiten Konzerthälfte fast schon verdrängt, dass die Darbietung vor der Pause zunächst gar nicht umwerfend war: Tschaikowskys erstes Klavierkonzert mit Nikolai Tokarev wirkt wahrlich nicht überprobt. Tokarevs großer, pedalreicher Klang enthält anfangs auch einige Töne, die Tschaikowsky unbekannt waren. Das Orchester eröffnet den Mittelsatz mit einem merklich bröselnden Pizzicato.

Sonderlich ausdifferenziert kann eine Interpretation nicht werden, wenn die Akteure auf dem Podium mit dem Zueinanderfinden beschäftigt sind. Dennoch wird es mehr und mehr eine gute Interpretation. Das liegt daran, dass zumindest Tokarev rasch bei sich ist: Der monumental-virtuose erste Satz gelingt ihm immer klarer in der Disposition - diese Merkmale wird Tokarev später beim fesch akzentuierten Allegro con fuoco nochmals steigern. Besonders aber überzeugen seine unaufdringliche Melodik und das eingeschobene, blitzsauber dahinhuschende Prestissimo des Mittelsatzes.

Es zeichnet das Orchester aus, dass nach der Pause nichts mehr an die vorherigen Eintrübungen erinnert. Dirigent Vladimir Spivakov leitet die riesige Besetzung nun dezidiert an. Das Ergebnis ist phänomenal. Rachmaninows Sinfonische Tänze op. 45 sind spannend und abwechslungsreich: Mitunter ist der Satz auf wenige Stimmen ausgedünnt, somit glasklar und transparent. Herb klingt das intensiv ausgesungene Streicher-Unisono. Der Walzer des zweiten Satzes pulsiert kräftig, drängt bei aller Verspieltheit der vielen Holzbläsereinsätze melodisch stringent voran. Der rhythmisch zerklüftete, ereignisreiche, teils eruptive dritte Satz ist tückisch und dunkel im Klang. Das Orchester musiziert dieses Werk mit solch präziser Gestaltungslust, dass die drei Zugaben absolut folgerichtig sind.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2018
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