Kurzkritik:Sinnkrise in Spießerstadt

Lesezeit: 1 min

Das Green-Day-Musical "American Idiot" in der Tonhalle

Von Dirk Wagner, München

"Die Kids können hier nur Trübsal blasen", fasst Tunny, einer der Protagonisten im Green-Day-Musical "American Idiot" das Lebensgefühl der Jugendlichen in einer kalifornischen Vorstadt zusammen. Nun gibt es auch in Deutschland mehr Knödlingens und Nudelfings, oder wie immer solche Vororte heißen, als Berlins und Hamburgs. Darum kann sich auch hierzulande die Mehrzahl der Jugendlichen mit eben jener von der Punkband Green Day in zehn Briefen thematisierten Sinnkrise identifizieren, die in den USA auch als Musical überzeugte.

Dass Langeweile aber nicht nur das provinzielle Dasein in "Spießerstadt" prägt, wie Suburbia in der deutschsprachigen Version des Green-Day-Musicals heißt, die nach ihrer Premiere in Frankfurt nun auch auf Tournee präsentiert wird, beweist die blutleere Umsetzung des Stücks in der Münchner Tonhalle. Anderthalb Stunden Vorstadtlangeweile prägen hier zwei Aufführungen lang das Großstadtleben. Das können nicht einmal die schmissigen Green-Day-Hits verhindern, die eigentlich eine erfrischende Symbiose von Punk und Musical ermöglicht hätten.

Doch jede Schülerband hätte den Songs wahrscheinlich mehr abgewonnen als das mit Verlaub spießige Geklimper der American-Idiot-Band unter der Leitung von Nicolai Brenner. Viel zu brav, viel zu gefällig und viel zu sortiert dargeboten, verwandelt die um einen Cellisten erweiterte Band die wildesten Punkhymnen in blutleere Fahrstuhlmusik. Und trotzdem passt genau solche Aufbereitung der Musik zu den belanglosen Choreografien, mit der das für die Tournee neu zusammengestellte Off-Musical-Ensemble ein wenig Bewegung ins Stück bringen mag. Vielleicht will es aber auch nur von den von Titus Hoffman ins Deutsche übersetzten Songtexten ablenken, die mit Textzeilen wie "Nimm den Druck weg von der Schwellung. Lange halt ich nicht mehr die Stellung" selbst für Green-Day-Fans gewöhnungsbedürftig sein dürften.

Zwar könnten diese nämlich in Gedanken die originalen Lyrics mitsingen, aber gegen den deutschen Schüttelreim samt seinen holprigen Rhythmen hilft auch die beste Kenntnis der Originaltexte auf Dauer nicht. Was sehr ärgerlich ist, weil das rollenverteilte Singen der im Musical verarbeiteten Green-Day-Songs in der auch auf Tonträger dokumentierten amerikanischen Original-Version des Musicals sehr wohl funktioniert und nach "Tommy" und "Quadrophenia" von The Who oder "The Wall" von Pink Floyd einmal mehr das reaktiviert, was man früher vollmundig als Rockoper pries. In der Tonhalle ist dagegen nicht einmal ein Singspiel zu genießen.

© SZ vom 14.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: