Kurzkritik:Sensibler Freak

Der Rapper RIN zeigt Selbstvertrauen in der Tonhalle

Von Stefan Sommer

Aneinandergelehnt schwanken sie aus der Halle. In kleinen Gruppen stützen sie sich. Die T-Shirts von Haute Couture Modelabeln sind klatschnass geschwitzt oder zerrissen, einer ganz müden Gestalt fehlt ein Schuh. Das Konzert von RIN ist vorbei. Noch vor Minuten hetzt der Rapper aus Bietigheim-Bissingen die jungen Körper seines Publikums für den Hit "Dior 2001" im Moshpit aufeinander los. Mit den neuen kurzen, ampelroten Haaren steht er danach gerührt vor ihnen und juchzt zitternd in die Tonhalle: "Ich liebe euch."

Wie Pop-Genie Frank Ocean bricht er mit Heterotopien und Zuweisungen des Macho-Hip-Hop2. Das macht ihn im Testozirkel Deutschrap zum Außenseiter. Hadern, Zweifeln, Schwermut, Dazwischenstehen und eben rote Haare haben da selten Platz. Renato Simunovic, wie RIN richtig heißt, bleibt für die Muskelmänner ein Sensibelchen, ein Freak. Seine Tracks erzählen von einer Welt, deren Bewohner mehr sediert als wach durch eine urbane Vorhölle aus Techno-Clubs, Vintage-Läden und Dealerbruchbuden torkeln - immer auf der Suche nach Nähe oder dem nächsten High. Mehr Werther als Westcoast: In millionenfach-geklickten Tracks wie "Nike" oder "Avirex" verbinden nur noch Marken und Antidepressiva die Ich-AGs - Figuren wie aus einem Bret-Easton-Ellis-Roman.

RIN hat sich weiterentwickelt und ist längst kein Internetphänomen mehr: Wirkte er bei seinem Auftritt in München 2018 in der Muffathalle von der Begeisterung der Menschenmassen geschmeichelt aber verunsichert, haben ihm eine lange Tour und ein noch längerer Festivalsommer Selbstvertrauen gegeben. Nur mit Mikro, ohne Entourage oder Band im Rücken, nimmt er nun die Bühne ein. Aber er hat ja auch ein Publikum als Unterstützung, das es bei Minusgraden für ihn in Kauf nimmt, sockig nach Hause zu stampfen.

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