Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Russische Seele

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Die Pianistin Anna Vinnitskaya im Prinzregententheater

Von Klaus P. Richter, München

Legenden gehören zur Aura großer Pianisten. Aber dass die russische Pianistin Anna Vinnitskaya alle drei der höllisch schweren Klavierkonzerte von Béla Bartók im April in Berlin hintereinander gespielt hat, ist keine Legende, sondern eine Tatsache. Umso gespannter war man jetzt, sie im Prinzregententheater mit Sergej Rachmaninoff zu hören. Und tatsächlich gelingt es ihr, ihre vulkanischen russischen Energien in die viel romantischeren Tiefen und Untiefen des zweiten Klavierkonzerts zu transferieren. Anna Vinnitskaya versteht mit ihrer Agogik und Phrasierung beseelt zu atmen und findet aus den orgiastischen Ausbrüchen, wie gleich in der Durchführung des ersten Satzes, wunderbar organisch in die verhangenen Melos-Spielereien Rachmaninoffs zurück. Damit gewann die Musik eine Art unterirdisches Flackern, das alle Längen belebte und die verborgene Polyfonie der abgespaltenen Nebenstimmen zutage treten ließ. In den Soli der epischen Nachtmusik des Adagio-Satzes kam es gleichsam zu sich selbst, aber auch dem Finalsatz kam es zugute, weil es alle die morbiden Klangspezereien vom Kitschambiente in glaubwürdige Emotion verwandelte.

Diese Diktion wäre allerdings ohne den Maestro am Pult, Dmitrij Kitajenko, nicht möglich geworden, denn er vollzog Anna Vinnitskayas agogischen Puls mit dem Symphonieorchester des Südwestdeutschen Rundfunks symbiotisch nach. Das Orchester erwies sich, auch nach der vielbeklagten Fusion von Stuttgarter, Baden-Badener und Freiburger Orchester als ein Spitzenensemble, das zur Herausforderung für jedes der Münchner Weltorchester taugt. Mit ihm gelang Kitajenko eine "Pathétique" von Tschaikowsky der Sonderklasse. Auch hier war es wieder seine atmende Agogik-Kunst zwischen den tosend-schroffen Agitato-Ausbrüchen und den abgründigen Lamentoso-Adagios, mit denen er alle luxurierende Nervenmusik samt Salonambiente in ein tief berührendes Seelengemälde verwandelte. Überwältigender Applaus.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2016
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