Kurzkritik:Rätselhaft

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Tschaikowsky-Zyklus: Gergiev und das Mariinsky-Orchester (2)

Von Ekaterina Kel, München

Wie klingt ein Rätsel? Peter I. Tschaikowsky legte seine ganze Seele in die sechste und letzte Symphonie, die "Pathétique", wie er selbst in einem Brief schrieb. Das Programm aber sollte "für alle ein Rätsel bleiben". Größter Kummer und höchste Erhabenheit liegen in dieser Komposition, die er in nur wenigen Wochen und nur Monate vor seinem Tod im Jahr 1893 fertiggestellt hatte. Was sich darin noch verbirgt, können keine Worte der Welt ausdrücken. Aber man kann es hören - und wie! Dank Valery Gergiev, der sein Petersburger Mariinsky-Orchester für ein Tschaikowsky-Wochenende in die Münchner Philharmonie brachte, konnte das Rätsel, das höchst Subjektive der Symphonie, am Samstag im Gasteig erklingen.

Der jahrelange Leiter des Mariinsky-Orchesters verzichtet auf Podest und Pult, und auch auf die Noten. Er stellt sich in die Mitte der Streicher und arbeitet die Kontraste der "Pathétique" mit großer Sensibilität heraus. In saftigen Tuttis setzt Gergiev auf die geballte Kraft der dröhnenden Blechbläser, in zarten Pianissimo-Stellen horcht er sich in die Besonderheiten jedes Streicher-Vibratos ein. Besonders eindrucksvoll gelingt ihm der krasse Bruch zwischen drittem und viertem Satz, von einem strotzenden, heiter-rastlosen Marsch geht er direkt ohne Pause über in die schmerzvollen, nachdenklichen Seufzer der Geigen. Gergiev ebnet der tiefen Trauer des letzten Satzes, unüblicherweise ein langsames Adagio, den Weg, lässt die Kontrabässe genüsslich jede Sekunde des h-Moll-Schlussakkords auskosten und versetzt den Hörer in einen Trance-ähnlichen Zustand, indem er über alle Seelenschattierungen Tschaikowskys sinnieren kann.

Zuvor beeindruckte Gautier Capuçon mit einem unter die Haut gehenden Cellospiel in den Variationen über ein Rokoko-Thema, und der Pianist Vadym Kholodenko, der kurzfristig für Denis Matsuev beim dritten Klavierkonzert eingesprungen ist, demonstrierte Techniksicherheit und Innigkeit.

© SZ vom 11.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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