Kurzkritik Pop:Herzliche Hooligans

Die "Sleaford Mods" wüten in der Freiheizhalle

Von Stefan Sommer, München

Wortgewaltige Wutreden-Veteranen wie Rudi Völler oder Klaus Kinski haben in Jason Williamson wohl einen ebenbürtigen Schreihals gefunden: Der kurz geschorene, bullige Sänger der britischen Band Sleaford Mods brüllt, schreit, wütet, bellt und hechelt auf der Bühne der Freiheizhalle wie ein aufgeputschter Pitbull, den man jede Sekunde von der Leine lassen wird. Wie ein Heimgesuchter imitiert er in Songs wie "B.H.S." Stimmen, spricht alle Personen seiner Dialoge selbst und schreit jede nur erdenkliche Verwünschung in sein Mikro, als würde der Erzfeind der britischen Linken, Außenminister Boris Johnson, direkt vor ihm stehen.

Mit ihrem neunten Album "English Tapas" machen sich die Sleaford Mods endgültig zum grimmigen Antlitz der Brexit-Überrumpelten. Die wie präzise Stempeluhren hämmernden Drumcomputer-Beats und die beißenden Spoken-Word-Pöbeleien Williamsons entwickeln sich momentan zum düsteren Soundtrack für ein taumelndes, verwirrtes Königreich. Ihre Beschreibungen von maroden Vorstädten und nach Discounter-Filterkaffee muffelnden Sozialwohnungen, berichten von den Schneisen, die der Turbokapitalismus durch die Räume und das Leben seiner Bewohner zieht. Die Sleaford Mods sind die Wutrede, die man nach Überstunden nachts ins Kissen diktiert, für den Showdown mit dem Chef zurechtlegt und doch noch nie gehalten hat.

Die repetitiven, zu einem spartanischen Minimalismus reduzierten Zwei-Akkord-Stücke, abgespielt von einem mit Comic-Stickern beklebten Laptop und vorgetragen ohne jedes Instrument, Kulisse oder eine Lichtshow, schwanken mit ihrem offensiv Dilettantischen zwischen dem Bandcontest im örtlichen Jugendzentrum und der großen Anti-Establishment-Geste. Denn, auch wenn die instrumentalen Parts oft den Charme einer büroeigenen Einbau-Kaffeeküche versprühen, schaffen sie den Platz, den Williamson und seine Stimmen für ihr gespenstisches Ein-Personen-Stück brauchen.

© SZ vom 12.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: