Kurzkritik:Politischer Jazz

Der Schlagzeuger Antonio Sanchez in der Unterfahrt

Von Ralf Dombrowski

Antonio Sanchez ist stolz, ein Amerikaner zu sein. Geboren in Mexico City, zog er mit seinen Eltern nach New York, weil er den Traum hatte, "mit den besten Musikern der Welt zu spielen". Er empfindet große Dankbarkeit für vieles, was das Leben ihm hat möglich werden lassen. Aber eben auch eine Verantwortung, diesen Geist der Offenheit und Gemeinsamkeit an andere weiterzugeben. Sein Quintett nennt er Migration, und seine Musik ist eine Fusion vieler Einflusssphären. Da er als Schlagzeuger an erster Stelle mit Dynamik, Rhythmus, Groove zu tun hat, hat er als Komponist und Bandleader eine Vorliebe für Pathos als wirkungsvoll verdichtete Emotion und lange Erzählbögen, um daraus Spannung entwickeln zu können.

Kaum ein Stück in der Unterfahrt ist kürzer als eine Viertelstunde, oft gehen die einzelnen Passagen in Suitenform ineinander über. Sanchez kommuniziert dabei sehr unterschiedlich mit den Partnern seiner langjährigen Working Band. Der Bassist Orlando Le Fleming etwa folgt ihm auf den Punkt, bis in kleine Effekte hinein perfekt synchron und, bis auf zwei eloquente Soli, vor allem als Fortsetzung des strukturellen Fundaments. Die Sängerin Thana Alexa kümmert sich um Farben, Assoziationen, stellenweise poetische Einwürfe und bleibt mit klarem Sopran und gegen Konzertfinale zunehmender improvisierender Lockerheit zwar markant, aber für das Konzept noch am ehesten redundant. Chase Baird ist eigentlich Tenorsaxofonist, greift in diesem Fall aber häufig zum elektronischen Blasinstrument, um fiepende Synthie-Sounds und Effekte beizusteuern.

Antonio Sanchez' eigentlicher Sparringspartner aber ist eindeutig John Escreet, der bevorzugt am Fender Rhodes weit schweifende, psychedelisch schillernde Räume öffnet, im Wechselspiel mit den Drum-Motiven. Und da ist sie dann wieder, diese in musikalische Kraft gepackte kreative Wut, dieses Bedürfnis nach einem Klangerleben, das den Menschen in den tiefen Schichten packt. Jazz kann auch ohne Worte politisch sein.

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