Kurzkritik:Nackt im Regen

"Anticlock": Antitheater bei der Musiktheater-Biennale

Von Egbert Tholl

In der Beschreibung auf der Biennale-Homepage liest sich das folgendermaßen: "Hundertzwanzig Minuten on the road mit einem motorisierten Hybrid, umgeben von Audio- und Bildspuren, Synchronstimmen, originalen und abweichenden Soundtracks sowie unerwarteten Programmänderungen, Zwischenstopps, Fahrtrichtungswechseln, und vielleicht gar: einer Ankunft."

In der Realität findet bei "Anticlock" von Mirko Borscht folgendes statt: In der Glashalle des Gasteigs wartet ein Häuflein Neugieriger. Eine große, leicht verhaltensauffällig agierende Dame tritt unter sie, verkündet, sie sei "Anticlock", komme aus der Zukunft und handle gegen die Zeit. Sie fordert auf, ihr zu folgen, tapst voran, den Körper rückwärts gerichtet, weil ja gegen die Zeit. In gemächlichstem Tempo geht es nun durch den technischen Untergrund des Gasteigs, ein wilder Herr steht dort, mit einem Plattenspieler und einer Vogelstimmenplatte darauf. Ein anderer hat einen sehr netten Hund. Dann, nun hat "Anticlock" bereits 45 Minuten Zeit gefressen, soll man eine Schlafbrille aufsetzen, "blind" wird man in einen sehr wenig hybriden Reisebus verfrachtet, mit diesem in den Harthof verschleppt, dort in ein heruntergekommenes Gewächshaus geführt.

Nun darf man die Brille absetzen und den Film der eigenen Zukunft betreten. In diesem ist es sehr feucht, man wird mit Wasser besprüht, begegnet zombiehaften Wesen, die einem schon einmal eine Kelle Wasser auf den Kopf schütten, es gibt trübes Licht und ein bisschen elektronisches Geknurkel. Hey, die Zukunft ist nicht rosig. Die des Musiktheaters auch nicht. Gemäß "Anticlock" ist es frei von allem, was nur entfernt an Musik erinnert, voll indes mit verquastem Textmüll. Vielleicht kann man mit der Bastelei des Zukunftsfilms wenigstens Fünfjährige nachts im Wald erschrecken; als ein nur im allergeringsten sinnstiftender Beitrag zu einem wie auch immer gearteten ästhetischen Diskurs ist "Anticlock" eine selbstverliebte Totalpleite. Festival bedeutet Experiment, das stimmt schon und ist gut so. Doch dieser monströse Quatsch zielt auf gar nichts, außer auf Fluchtgedanken. Als Beitrag zur Zukunft des Musiktheaters eine grandiose Unverschämtheit.

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