Kurzkritik:Mystisch

Kent Nagano mit Machaut, Bach und Messiaen im Herkulessaal

Von Klaus P. Richter

Während Funkenmariechen und Pappnasen dem Karnevals-Finale entgegen tanzen, zeigt Kent Nagano, was Carne vale heißt: der "Abschied vom Fleisch" als hintergründiges Vorspiel zur Fastenzeit. Als Hamburger Opernchef hat er eben die Trauerode zum Fukushima-Atomdrama "Stilles Meer" von Toshio Hosokawa uraufgeführt - jetzt führt er im Herkulessaal durch ein exquisites Programm christlicher Musikmystik.

Vier Sänger beschwören mit Guillaume de Machaut die Anfänge abendländischer Motettenkunst - Moon Yung Oh, Andreas Hirtreiter, Christof Hartkopf und Michael Mantaj: eine Vokalpolyphonie, die mit herber Quartenharmonik und lapidarem Latein archaische spirituelle Ekstase entfaltet. Dazwischen ein nicht weniger spirituelles Vermächtnis: zwei Kontrapunkte aus Bachs "Kunst der Fuge". Instrumentiert von Ichiro Nodaira für ein kleines Ensemble aus dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist natürlich die letzte, unvollendete Fuge von Bachs Summum opus dabei. Mit ihrem Abbruch durch seinen Tod ist sie der beklemmendste Schluss der Musikgeschichte, aber durch Naganos fast romantisch ausmusizierte Emphase wird sie zur sinnlichen Ausdrucksmusik.

Wie eine Potenzierung von Mystik, Herbe und flammendem Ausdruck dann das Hauptwerk des Abends: "Éclairs sur l'au-delà" von Olivier Messiaen: "Streiflichter auf das Jenseits". Hier ist Nagano mit den großartigen Sinfonikern des BR in seinem Metier. Es ist seine Apotheose des Mystikprogramms - aber auch Bekenntnis zu einem Musik-Kabbalisten, der seine "Mystik" in klangkoloristische Inszenierungen transformiert. Dort ließ aber schon das erste der elf Bilder im massiven Blechbläserchoral die Verbindung zu Machaults Quartenklang aufscheinen, auch wenn die "Herrlichkeit Christi" erschreckt. Dafür gab es mit Röhrenglocken, virtuosem Bläser-Zwitschern und violinistischen Innigkeiten auch expressive Tiefen.

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