Kurzkritik:Mut und Würde

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"Don't forget to die" von Karen Breece im Hoch X

Von SABINE LEUCHT, München

Die Älteste ist 93, die Jüngste 73 Jahre alt. Und alle fünf bekommen am Ende Standing Ovations: Unter anderem für ihren Mut, einige der Schlüssel benutzt zu haben, die Uta Maaß zuhause aufbewahrt, als Erinnerung an die Geheimnisschubladen und Erinnerungs-schränke, die alte Menschen oft verschlossen halten. Oder vielleicht fragt sie ja nur selten einer nach dem Inhalt? Die Theatermacherin Karen Breece hat gefragt - und sie hat zugehört. "Don't forget to die" heißt der dabei entstandene Abend im Hoch X. Und er bringt einen sofort zum Aufhorchen, weil da dieses vergnügte "Nö" ist, das "Frau Maaß" ihrer Mitspielerin Ursula Werner auf die Frage entgegenschnippt, die eigentlich eine Bitte an die Zukunft ist: "Aber da muss doch noch was kommen?"

Was nicht kommt oder doch, vor allem aber, was in diesen bewegten Leben schon war und noch ist, darum geht es in den folgenden zwei Stunden. Werner als einziger Schauspiel-Profi springt dabei schon mal einem der Anderen bei, wenn eine Geschichte etwa vom letzten Blick in die Augen eines sterbenden Soldaten mehr Abstand verträgt. Generell aber kommen sie alle prima alleine klar: Die von Kind an blinde wunderbare Pianistin Livia Hofmann-Buoni, die ihre Asche auf dem Meer befreien und als Hund wiedergeboren werden will. Die 93-jährige Rosemarie Leidenfrost mit dem staubtrockenen Humor, die im Altenheim viel Jüngere betreut. Christoph Ranke, der mit fast 79 Jahren noch in fünf Bands und Orchestern spielt und das Sterben-Müssen evolutionsgeschichtlich begründet.

Und nicht zuletzt Uta Maaß, deren Vater als Mitwisser des Hitler-Attentats hingerichtet wurde und deren herrlicher Märchenerzähl-Alt eine Wohltat für die krebskranken Kinder gewesen sein muss, die sie in den Tod begleitet hat. Wie sie vom "unvergleichlich würdevollen" Sterben eines Neunjährigen erzählt, ist nicht die einzige Stelle, an der es einen hinwegschwemmt an diesem oft auch lustigen, die kleinen Ticks und Eitelkeiten der Einzelnen liebevoll betrachtenden Abend. "Es geht nur darum, da zu sein", heißt es irgendwann. Allein dafür, dass diese Fünf in Erinnerung rufen, wie wichtig und schwierig dieses Da-Sein ist, haben sie jeden Beifall verdient.

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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