Kurzkritik:Mitmachmusik

Der Piano-Entertainer Jamie Cullum auf Tollwood

Von Thomas Becker

Die Jacke fliegt schon nach ein paar Takten in die Ecke, das Hemd folgt einen Song später, das finale T-Shirt lässt Jamie Cullum am Leib. Bei der nächsten Nummer steht er schon auf seinem Klavier. Erst mal Volldampfradio, Cole Porters "I Get a Kick out of You" fliegt nur so durchs Tollwood-Zelt. Da staunt auch Wolfgang Niedecken nicht schlecht, der sich den Bühnenberserker am Abend nach seinem Auftritt noch mal aus der Nähe ansieht. Gute Idee, denn Jamie Cullum geht immer und bei fast jedem, wie am breit gefächerten Publikum zu sehen ist. Wenn Jamie singt, wackeln auch die Handtaschen-Ladys mit. Und bei der finalen Mithüpf-Nummer machen tatsächlich fast alle mit.

Puristen mögen jetzt die Nase rümpfen, aber mit denen hat sich der Brite noch nie lang aufgehalten. Wer schon auf dem Geburtstag der Queen, mit Pharrell Williams, der Mundharmonika-Ikone Toots Thielemans und für Clint Eastwoods "Gran Torino" den Titelsong gespielt hat, der kümmert sich wenig darum, ob er nun in die Schublade Pop, Casino-Jazz, Singer/ Songwriter oder Crossover gesteckt wird. Sein Mix aus gefühligen Balladen ("If I Ruled The World"), mutig interpretierten Standards ("Old Devil Moon", "Love for Sale"), mit Bruder Ben Selbstgeschriebenem und -komponiertem und das Original um ein Vielfaches überragenden Covern (Rihannas "Don't Stop the Music" klingt nicht annähernd so intensiv) funktioniert perfekt, auch dank seines Begleit-Quartetts, eines hochbegabten Multiinstrumenalisten-Rudels. Und der Saal groovt dazu. Entertainer kann er auch, und wie! So viel gute Laune auf einem Haufen ist selten. Herrlich die Schote von seinem ersten Auftritt außerhalb des UK, beim Kulturknall-Festival am Staffelsee vor 14 Jahren. Keinen Cent Gage habe er bekommen, blieb aber drei Wochen lang in Bad Bayersoien. Seinen Gig bei der Udo-Jürgens-Gala kurz vor dessen Tod lässt er auch nicht unerwähnt: "Ich habe nichts verstanden, aber so wie die Leute mitgesungen haben, muss er eine Legende gewesen sein." Auf dem Weg dazu ist Jamie Cullum längst.

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