Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Mit den Inkas durch die Nacht

Eindrücke von "Antennenglühn", dem Festival für Neue Musik

Von Dirk Wagner

Dass eine "Nacht der Neuen Musik" bereits um 14 Uhr startet, deutet womöglich die Bereitschaft an, einen eurozentrischen Blick auf die Dinge zu verlassen. Irgendwo auf der Welt wird gerade schon Nacht sein. Allerdings hätte man das neue Festival "Antennenglühn" dann auch als "Morgen der Neuen Musik" untertiteln können. Schließlich wird auf diesem zehnstündigen Fest in zum Teil parallel ausgetragenen Konzerten und Diskussionen der Tagesanbruch einer Neuen Musik gefeiert. Wobei so manche Morgenröte noch an die Abenddämmerung vom Vortag erinnert.

Umgekehrt wirkt die älteste Komposition im Programm, das 1966 von der 80 Jahre alten US-amerikanischen Wahlmünchnerin Gloria Coates komponierte erste Streichquartett "Protestian Quartet", in der Interpretation des Zentaur Quartetts noch so frisch, dass der Spiegelkanon zwischen den drei hohen Streichern und dem protestierenden Cello noch immer musikalisch irritiert. "Es ist fast unmöglich zu sagen, welches dieser Elemente der Spiegel ist und welches der Rahmen", hatte der britische Geiger Peter Sheppard Skærved einmal die Herausforderung des Stücks beschrieben. Mit welcher Hingabe das Zentaur Quartett samt seinem hier besonders virtuosen Cellisten Caio de Azevedo solche Herausforderung meistert, könnte schnell dazu verleiten, diesen Programmpunkt als Höhepunkt des Festivals im Gasteig zu begreifen. Doch das würde erstens verkennen, dass gleichzeitig in einem anderen Saal wegweisende Elektronika offeriert werden. Vor allem aber würde es den lichten Auftritt des Profilchors mit dem Kammerensemble der Klasse Chordirigieren ignorieren. Mit dem zweiten Satz aus "Die Hymnen des Pachacutec nach heiligen Texten der Inka für gemischten Chor und Kammerorchester" von Hans Henning Ginzel gelingt unter dem Dirigat von Helene Sattler ein Blick auf die Inka-Kultur des 15. Jahrhunderts, die Parallelen zu aktuellen religiösen Vorstellungen aufweist. Ginzel präsentiert die überlieferten Texte einer untergegangenen Kultur als moderne Kirchenmusik.

Verblüffend spirituell gerät zudem eine von drei Kompositionen, die der Ankündigung nach erst an diesem Abend in Kooperation mit dem Bratschisten Nils Mönkemeyer entstehen. Der Komponistin Charlotte Seither gelingt eine Musik, die Mönkemeyer immer leiser spielend dem Klang der Umgebung überliefert. So wird der Klang des Gasteigs, seines Treppenhauses und der Straße mit jedem Bogenstrich lauter, bis einmal mehr auch Alltagsgeräusche als Musik aufblühen.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2018
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