Kurzkritik:Miles hier, Sonny dort

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Jazz mit Terence Blanchard und James Carter

Von Ralf Dombrowski, München

Wer die Energie und ein wenig Etat mitbringt, hat zur Zeit die Möglichkeit, nahezu täglich in München Jazz auf internationalem Niveau zu erleben. An manchen Abenden überschneiden sich sogar die Termine mit den Prominenten ihres Fachs. So machte beispielsweise der Trompeter Terence Blanchard aus New Orleans in der Unterfahrt Station, um mit seinem E-Collective das Prinzip Miles Davis fortzuführen. Im Design-Trainingsanzug entrückt auf der Bühne wandelnd, füllte er die zumeist polyrhythmisch fundierten, zwischen sphärischen Klangräumen und rockiger Präsenz pendelnden Stücke seines jungen Quintetts mit lang gezogenen Tönen, mit mal kreisenden, mal sich verdichtenden Motiven, stark und klar im Ton, kraftvoll in der Wirkung der zumeist dramaturgisch gedehnten Arrangements.

Nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt hingegen stellte im Night Club des Bayerischen Hofs James Carter im Quartett seine Vorstellung der Fortsetzung des Prinzips Sonny Rollins vor. Im Nadelstreifenzwirn mit der freundlichen Eleganz des routinierten Entertainers führte der Saxofonist aus Detroit durch das Referenzenkabinett der afroamerikanischen Jazzmoderne von Sun Ra bis Stevie Wonder und unterzog die jeweiligen Vorlagen einer Energiekur mit extrem virtuoser Spielkompetenz. Es ist faszinierend, wie Carter kaum eine Geläufigkeits- und Ausdrucksgrenze seiner Instrumente - Tenor-, Alt- und Sopransaxofon - zu kennen scheint und wie er sie Läufe entlang rasen, Töne formen, schreien, pressen zu lassen versteht. Mehr noch als bei vielen Kollegen wirkten sie wie Teile seiner Person, gespielt mit einer Selbstverständlichkeit der Ekstase, die er seit seinem Senkrechtstart in den Neunzigern kultiviert und im Stilzusammenhang eines groovenden Neotraditionalismus verfestigt hat. Ein Visionär, dessen Klangkonzept in die Zukunft weist, ein Meister, der berauschend die Stilvergangenheit in der Gegenwart beschwört. München ist zur Zeit eine Jazzstadt, in der es sich kaum zu schlafen lohnt.

© SZ vom 22.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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