Kurzkritik:Menschenbilder

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Emanuel Gat und Trajal Harrell überzeugen beim Festival Dance

Von Rita Argauer, München

Die Inklusion und Integration von Minderheiten in das, was man als gesellschaftliche Norm bezeichnet, ist ein großes Thema heutzutage. Politisch genauso wie künstlerisch. In der Produktion "Sunny" von Emanuel Gat sowie in Trajal Harrells "Caen Amour" wird das beim Dance Festival besonders deutlich.

In erster Linie geht es in "Sunny" aber um Bobby Hebbs' gleichnamigen Song. Der Musiker Awir Leon singt, zerhäckselt und verpuzzelt diesen melancholischen Klassiker live auf der Bühne mit Keyboard, Beats und Computer. Gats zehnköpfige Kompanie findet sich dazu in fünf Paaren zusammen. Bewegungen, die auf Beugungen basieren, ergeben ein schönes Abbild von Zwischenmenschlichkeit: Hingabe, Hinwendung und Demut in schöner Schlichtheit. Später gibt es aggressivere Passagen und Verkleidungen, es gibt Nähe und Distanz - und ein unaufgeregtes, aber reizendes Abbild vom Suchen, Finden und Verlieren der Liebe.

Dass es gleichgeschlechtliche Paare dabei genauso gibt, ist nebensächlich. Denn in Gats Stück findet Gleichberechtigung statt, in dem ihr genau keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dass etwa eine der Tänzerinnen eine Armprothese trägt, fällt erst nach der Hälfte des Stücks auf, so selbstverständlich ist sie Teil der Gruppe und des Bewegungsflusses. Bei Gat wird integriert, aber nicht thematisiert.

Ganz anders ist das in Trajal Harrells Hoochie-Coochie-Paraphrase. Nach dem selben Prinzip, nach dem sich Betroffene ehemalige Schimpfwörter für Minderheiten (etwa "schwul" oder "faggot") angeeignet haben, um ihnen die Gewalttätigkeit zu nehmen, verfährt auch Harrell. Hoochi Coochi - eine Art amerikanische Art-Deco-Version des Bauchtanzes - wird in ihrer ganzen erotisch ausladenden und auch sexistischen Weise benutzt. Perle Palombe, eine großartig gewitzte Tänzerin, ist als einzige tanzende Frau im Ensemble auch die einzig offensiv Nackte. Die beiden Herren Thibault Lac und Ondrej Vidlar können ihre Körper zwar auf faszinierende Weise sehr sexy und weiblich bewegen, aber sie entblößen sich körperlich nicht. Dafür seelisch. Denn ihre ernsthaft angewendete und tänzerisch großartige Technik gibt diesem Stück, das atmosphärisch aufgebaut ist wie ein Midnight-Movie von John Waters, eine berührende Tiefe voll melancholischer Ernsthaftigkeit abseits aller affektierten Albernheiten.

© SZ vom 20.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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