Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Löschwasser

Der australische Fingerstyle-König Tommy Emmanuel gastiert in der Philharmonie, erzählt von starken Martinis und spielt Duette mit einem maximal Zehnjährigen

Von Jürgen Moises

Der vor ein paar Tagen verstorbene George Martin war nicht nur ein begnadeter Produzent und Arrangeur. Er konnte auch starke Martinis mixen. So stark, erzählt der australische Gitarrist Tommy Emmanuel bei seinem Konzert in der Philharmonie, dass er nach zwei davon schon nicht mehr reden konnte. In den Genuss der kräftigen "Sir George Martinis" kam Emmanuel, als er in den 1990ern an der Show "All you need is Beatles" mitwirkte. Weil sie beide seitdem gut befreundet waren, widmet er "Sir George Martini" nach dieser Anekdote den Beatles-Songs "Michelle". Dieser gerät, melancholisch grundiert und mit einer hübschen Einleitung herausgeputzt, zu einer würdigen Hommage. Ein paar andere Beatles-Songs wie etwa "While My Guitar Gently Sleeps" gab es zuvor schon als Medley. Nur dass bei Emmanuel die Gitarre nicht leise wimmert. Stattdessen verpasst er ihr mit kräftigem Anschlag ein sattes Volumen, spielt dazu die vertraute Melodie und verziert das Ganze nebenbei noch mit harmonischen Mustern.

Bei anderen Stücken treibt der australische König des Fingerstyle das Spielchen noch weiter, indem er durch Reiben oder Klopfen auf der Gitarrendecke ein Schlagzeug simuliert, dazu mit der linken Hand Bass-Läufe spielt und sich in seine eigene Backing-Band verwandelt. Eine weitere Königsdisziplin: Geschwindigkeit. Bei der selbstkomponierten Bluegrass-Nummer "The Tall Fiddler" rasen die Finger mit einem solch irrwitzigen Tempo über das Griffbrett, dass man denkt, die Wasserflasche neben Emmanuel wurde zum Löschen dort platziert.

Zur reinen Leistungsschau gerät das trotzdem nicht. Dafür sorgen Stücke wie "Blood Brother" oder "It's Never Too Late", bei denen der 60-Jährige eher auf Atmosphäre oder innere Dramatik setzt. Dass Emmanuel auch Konkurrenz nicht fürchtet, beweisen wiederum vier Duette mit dem kroatischen Gitarristen Frano Živković. Der ist maximal zehn Jahre alt, kann aber selbst bei einer Uptempo-Nummer wie "The Bug" noch mithalten. Der Fingerstyle-König von Morgen? Im Moment ist das jedenfalls Tommy Emmanuel, den die "lieben deutschen Kumpels", wie er sein Publikum nennt, am Ende auch gebührend ehren.

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Quelle:
SZ vom 14.03.2016
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