Kurzkritik:Leichte Präzision

Philippe Herreweghe und Bachs "Matthäuspassion"

Von Egbert Tholl

Es ist doch sehr schön, wenn man sich gleich zu Beginn der Karwoche aller religiösen Pflichten entledigen kann. Jedenfalls fühlt man sich nach knapp dreieinhalb Stunden "Matthäuspassion" durchaus imstande, die Ostertage ohne weitere kirchliche Inspiration begehen zu können. Und irgendwie denkt man sich auch, das reicht jetzt wieder für ein Jahr.

Es ist sehr schön, was Philippe Herreweghe, der Chor und das Orchester des Collegium Vocale Gent sowie eine Schar handverlesener Solisten im Herkulessaal machen. Es ist reine Musik. Herreweghe ist ein Bach-Spezialist bester Güte, er argumentiert mit der Musik allein. Seine Aufführung ist weder Glaubensbekenntnis noch Oper, Drama schon. Ein rhetorisches Drama. Gleich der erste Choral möge nie enden, so aufregend ist das Wechselspiel der beiden Chorhälften. Sie stehen so weit voneinander getrennt, wie das halt auf dem Podium möglich ist. Die Gesangssolisten, außer der emphatische Evangelist Maximilian Schmitt und der wuchtige Jesus Florian Boesch, sind Teil der Chöre. Das Orchester ist in perfekter Achsensymmetrie aufgestellt, nicht nur daraus entsteht eine Plastizität, die man selbst in der letzten Reihe des Herkulessaals, wenn man in der Pause den Platz wechselt, noch in schönster Lebendigkeit spürt.

Herreweghe ist ein sehr feiner Musiker, der auf jede Überwältigungsstrategie verzichtet. Er erinnert inzwischen an den alten Yoda aus "Star Wars", ist also gütig und weise, aber auch sehr achtsam und genau. Alles ist äußerst filigran, was bei der außerordentlichen Qualität der Musiker, gerade bei den vielen solistisch zu begleitenden Passagen, mit Leichtigkeit gelingt. Auch die Gesangssolisten sind eine Freude, neben dem fabelhaften Schmitt vor allen die Sopranistin Dorothee Mields, ein Ereignis an Klang und zauberhafter Präzision, oder auch der Counter Damien Guillon mit seinem eigenwilligen, beeindruckend tragfähigen Timbre. Es ist alles sehr gut, perfekt geradezu. Aber manchmal vermisst man die letzte Inbrunst.

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