Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Kräftemessen

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Valery Gergiev, der junge Pianist Behzod Abduraimov und die Philharmoniker mit Tschaikowsky

Von Barbara Doll, München

Als unspielbar, trivial und armselig bezeichnete Tschaikowskys Zeitgenosse, der Pianist Nikolai Rubinstein, dessen erstes Klavierkonzert. Heute ist es eines der großen Schlachtrösser der Klavierliteratur, und nicht in jeder Interpretation wird das so deutlich wie in der von Behzod Abduraimov. Der junge usbekische Pianist spielt es in der Philharmonie mit den Münchner Philharmonikern unter Valery Gergiev mit Kraft und Körpereinsatz. Sein satter, majestätischer Ton verschmilzt anfangs wunderbar mit dem mächtig aufblühenden Orchesterpart. Dunkel und gewaltig donnern die Kaskaden, Abduraimov spielt noch im aberwitzigsten Tempo präzis und technisch famos.

Doch immer wieder scheinen Pianist und Orchester nicht unerheblich auseinanderzudriften und sich gegenseitig zu hetzen. Seltsam. Als es sich wieder einpendelt, weiß Abduraimov im Dialog mit dem Orchester differenzierte, fast improvisiert wirkende Antworten zu geben. Zart getupfte, elegante Töne machen den zweiten Satz zum poetischen Gegenbild der Kraftdemonstration. Im Finale wiederum wähnt man sich beim Orchester dezibelmäßig schon bei Schostakowitsch, der erst nach der Pause dran ist. Behzod Abduraimov irritiert das nicht; er behauptet sich locker und übertrifft seine Leistung aus dem Kopfsatz mit wilden Sprints, denen er eine fabelhafte Leichtigkeit verleiht.

Es folgt Schostakowitschs fünfte Symphonie. Diese hatte den Komponisten nach dem bedrohlichen Zusammenstoß mit dem Sowjetregime wegen der Oper "Lady Macbeth" rehabilitiert. Gergiev wählt straffe Tempi, setzt auf das Wesentliche. Knüppelhartes, trockenes Blech und Schlagwerk machen Gewalt und Todesangst spürbar. Vor Intensität brennende Streicher, die am Ende geisterhaft entschweben, erzählen von Trauer und Sehnsucht. Die Philharmoniker musizieren hervorragend - und lassen den Pseudo-Triumph des Finales so krachend in den Abgrund marschieren, dass die Absurdität dieser Musik geradezu körperlich quält.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2019
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