Kurzkritik:Kleinteilig

Paul McCreesh dirigiert die Matthäus-Passion

Von Michael Stallknecht

Eine Botschaft müsse Musik haben, war Enoch zu Guttenberg überzeugt. Was er damit meinte, wurde überdeutlich, wenn er alljährlich am Karfreitag mit der von ihm gegründeten Chorgemeinschaft Neubeuern in der Philharmonie die Matthäus-Passion aufführte. Bachs Riesenwerk als Breitwandbibelepos: farbintensiv, dramatisch, drastisch, emotional bis zur Aufdringlichkeit. Im vergangenen Juni ist Guttenberg gestorben, die Chorgemeinschaft Neubeuern hat sich aufgelöst.

Mit einer Aufführung "im Gedenken an Enoch zu Guttenberg" setzte das von ihm gegründete Orchester, die Klangverwaltung, die Tradition in diesem Jahr dennoch fort, auch von den Solisten haben viele regelmäßig mit Guttenberg gearbeitet: die Sopranistin Sibylla Rubens (eingesprungen für Carolina Ullrich), die geschmeidig rund singende Altistin Wiebke Lehmkuhl, der markante Tenor Martin Mitterrutzner, der Bassbariton Hanno Müller-Brachmann, dazu Georg Zeppenfeld, der den Christus als noch weltnahen, auch entscheidungsstarken Religionsführer deutet. Neben dem bereits bewährten Münchner Knabenchor ist nun der Chor der Klangverwaltung im Einsatz, gegründet von Guttenberg als Kammerchor mit kleiner Besetzung, die den Bedürfnissen des neuen Dirigenten Paul McCreesh entgegenkommt.

Denn anders als der Vorgänger strebt McCreesh eine schlanke, dazu deutlich beschleunigte Lesart an, wie gerade auch in den liedhaft rasch vorübergehenden Chorälen deutlich wird. Gesangs- und Instrumentalsolisten verpflichtet er auf die feine Ziselierung der Linien, die behände und kleinteilig durchphrasiert werden. Kleinteilig bleibt dabei freilich auch der ganze Aufriss, weil McCreesh keine Gesamtarchitektur entwickelt. Als Vorläufer des Rokoko tändelt Bach über drei Stunden heiter dahin, an die Stelle des Bibelfilms rückt sozusagen eine Kreuzigungsgruppe aus der Porzellanmanufaktur: hübsch im Detail, aber vollkommen glatt.

Wie ein Relikt wirkt darin der von Guttenberg geprägte Daniel Johannsen als Evangelist, dem es um die Botschaft geht: Technisch makellos auch in der Abmischung mit der Kopfstimme, schickt er die Worte fast überprononciert zu den Hörern, sich nahezu selbst identifizierend mit den Leiden Christi, wie auch Guttenberg es tat. Über Guttenberg konnte man deshalb streiten, aber seine Kompromisslosigkeit vermisst man in dieser Aufführung sehr. Die Veranstalter sollten sich überlegen, ob sie diese halbgare Mischung auch im nächsten Jahr fortsetzen wollen.

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