Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Kinderleicht

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Jewgenij Kissin in der Philharmonie

Von Rita Argauer, München

Picasso formulierte das Bonmot, er habe ein Leben lang gebraucht, um zu malen wie die Kinder. Trotz seiner technischen Brillanz übersetzt Jewgenij Kissin das in der Philharmonie auf Mozarts C-Dur-Sonate, KV 330 - was diese Musik so außergewöhnlich erklingen lässt, dass es eine helle Freude ist. Das stete Staunen und Neuentdecken, mit dem Kissin Mozarts Musik begegnet, trifft den Geist dieser Sonate, die zwischen kindlicher Leichtigkeit und der schattenhaften Ahnung späterer Reife schwankt; und verhindert sämtliche Routine, die ein solcher Klavierstar mit dieser bekannten Musik haben könnte. Allein diese Haltung über das Konzert beizubehalten, wäre spannungsreich und befriedigend gewesen.

Doch Beethovens "Appassionata" begegnet er mit einem anderen Bewusstsein. Das zeigt sich schon in seiner Körperhaltung, die nicht mehr suchend in Richtung Flügel kriecht (wie bei Mozart), sondern nun aufrechter und etwas distanzierter zur Klaviatur positioniert ist. Beethoven ist erfahrener, wütender und vor allem wissender. Also spielt Kissin nun mit Kontrasten, die geplant werden müssen, anstatt erstaunt entdeckt werden können: Lautstärke, Weichheit und Härte prallen aneinander - eine Gefühlstortur im Wechselbad, die zwar eindeutig und effektreich, aber auch unmittelbar mitnehmend ist.

Diese beiden Sonaten-Monumente in der ersten Hälfte des Konzert gelingen ihm umwerfend. So sehr, dass das Programm nach der Pause kaum eine Chance dagegen hat. Brahms drei Intermezzi, op. 117, spielt Kissin mit der hingebungsvollen Ruhe eines Schlafliedes - das ist schön, aber auch ein bisschen bieder. Und die beiden spanischen Komponisten Albeniz und Larregla scheinen ihm selbst sehr am Herzen zu liegen. Doch in der immer wieder ins Folkloristische und Tänzerische kippenden Musik, klingt das nun eher, als jage Kissin den Effekten hinterher, anstatt sie so sorgsam zu inszenieren wie in der ersten Hälfte des Abends. Doch allein wegen dieser war das ein großartiges Konzert.

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Quelle:
SZ vom 29.02.2016
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