Kurzkritik:Keine Predigt

Richard Egarr interpretiert gemeinsam mit dem Orchester der Klang-Verwaltung Bachs Weihnachtsoratorium im Gasteig

Von Paul Schäufele

Die alte Frage: Wie ist dieser Beginn zu inszenieren, dieses ikonische Exordium, das den Raum öffnet für sechs Kantaten, in denen die Geburt des Christus verkündigt wird? Richard Egarr treibt das Orchester der Klang-Verwaltung zu rasendem Tempo an. Hier wird Spannung umgesetzt: Der Philharmonische Chor kann es nicht mehr aushalten, das Lob nicht in der Kehle lassen. Dieser brillante Eingangssatz bereitet vor, auf eine Interpretation des Weihnachtsoratoriums, die in ihrer Diesseitigkeit mitreißt. Das liegt am mustergültigen Gesang des Philharmonischen Chors - nicht homogen um jeden Preis, sondern präzise, durchsichtig und engagiert. Das liegt aber auch an dem wendigen Klang des relativ kleinen Orchesters.

Etwa 20 Musikerinnen und Musiker spielen auf, differenziert artikulierend und mit abgestufter Dynamik. Unter Egarrs Leitung findet das Orchester die für Bachs Kantaten notwendige Balance - es begleitet und tut doch viel mehr, ist auch Akteur mit eigener Aussage, nicht nur in der leicht fließenden Pastoral-Musik zu Beginn der dritten Kantate. Häufig bildet das instrumentale Musizieren einen vielschichtigen Gegenpart zum vokalen Geschehen. So etwa in der Arie "Ich will nur dir zu Ehren leben". Patrick Grahls flexibler Tenor bildet hier ein musikalisch brisantes Dreieck mit zwei wettstreitenden Solo-Violinen, gegenseitig inspiriert man sich zu leidenschaftlicherem Preisen.

Als Evangelist dagegen tritt Grahl mit bestechend bescheidener Erzählergeste auf, ist Sekretär der Handlung und leitet über zu den anderen exzellenten Solisten. So zu Anke Vondungs sinnlichem Alt, vollendete Figuration der Tochter Zion, oder Sarah Wegeners Engel-Sopran. Wegeners helle, auf natürliche Weise durchdringende Stimme hebt sich kraft ihres Timbres von Christian Immlers messianischem Bass ab im Duett "Herr, dein Mitleid". Dass es ihnen heut so schön gelinget, liegt auch an Egarrs dezidiertem Zugriff, der jede Form frommen Edelkitsches verbannt.

Wenn Egarr am Schluss einem jubelnden Publikum die Partitur entgegenhält, ist es eine Verneigung vor dem Komponisten Bach, nicht dem Thomaskantor. Egarr ist inspirierter Interpret, kein Prediger, seine Aufführung beispielhaft für den Konzertsaal. Und ob wir nun wirklich "wohl gerochen" sind, entscheidet sich vermutlich ohnehin unabhängig vom Konzertbesuch.

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