Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Kalte Kalamari

"Scrollen in Tiefsee" beim Hidalgo-Festival

Von Egbert Tholl

Angekündigt ist ein "lyrisches Gesamtkunstwerk". Das schaut dann so aus, dass in der Black Box im Gasteig eine weiße Leinwand aufgespannt ist, die ein bisschen so aussieht wie ein Ausschnitt aus der Allianz-Arena-Kuppel. Daneben kriegt man die Projektion eines Gedichts von Tristan Marquardt vorgesetzt, ganz secco, ohne jede Begleitung, zehn Minuten, zwölf Strophen, eher verblasene Erkenntnisse über Kommunikation im digitalen Zeitalter, worin sich aber ein paar tolle Bilder finden. Etwa das, dass nach einem Skype-Gespräch jemand nach draußen geht, die Straße aufreißt, um das Kabel zu finden und zu löschen, wo er log.

"Scrollen in Tiefsee", so heißen Gedicht und der Abend, bei dem Matthias Winckhler schön, warm und farbig singt, eben eine Vertonung des Gedichts, Andreas Skouras Klavier spielt und das Ganze von sehr viel Technik umwölkt wird. Also Gesamtkunstwerk, analog und elektronisch, in Video und Sound. Regisseur Tom Wilmersdörffer gibt dafür und fürs Hidalgo-Festival das Geld seines Stipendiums aus, das er von der Stadt München im Bereich "Junge Kunst / Neue Medien" erhielt.

Nur: Neu ist hier wenig. Die Komposition von Christopher Verworner ist von bemerkenswert altmodischer Schlichtheit, erinnert in manchen Momenten vielleicht sogar an Stolzings Preislied aus Wagners "Meistersingern", hat also mit zeitgenössischer Musik nur insofern zu tun, als das Ding halt jetzt komponiert wurde. Skouras muss zum Gesang ostinate Girlanden flechten, deren Gehalt auch nicht gerade fesselt. Dazu gibt es sehr viel zahmes Video, weil ja Gesamtkunstwerk. Aus Punkten werden Sterne werden Gitter, es geht ja um Verknüpfung, Kalmare und ein paar 3-D-Menschen tauchen in der Projektion auf, einer schaut sich Nachrichten an, Breaking News: "Erste Bands stellen Tracks, deren Views limitiert sind, ins Netz."

Toll. Selten hat man eine sicherlich hochkompliziert hergestellte Aufführung so umfassend scheitern sehen. Das Neue ist hart, es macht Mühe.

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Quelle:
SZ vom 19.09.2019
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