Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Im Ramschladen

Herbie Hancocks enttäuschender Auftritt in der Philharmonie

Von Oliver Hochkeppel

Es mag ja an Majestätsbeleidigung grenzen, trotzdem darf man der Meinung sein, dass der zigfach mit Grammys dekorierte, inzwischen 79 Jahre alte Jazzmusiker Herbie Hancock auf der ewigen Suche nach dem neuesten hippen Ding mitunter auch argem Quatsch aufgesessen ist. Und dass seit einiger Zeit besonders ungenießbar ist, was der Meister kredenzt. Völlig verfrickelt war schon die letzte Tour, bei der Terrace Martin dabei war, der grandiose Hip-Hop-Produzent unter anderem von Kendrick Lamar, der sich live neben Hancock aber mit seinem quäkenden Sopran-Saxofon und Konsolen-Gefummel in das enttäuschende Gesamtbild eines Klang-Ramschladens einfügte. Auf das von ihm produzierte neue Herbie-Hancock-Album wartet man indes schon seit Jahren.

Jetzt durfte man in der Philharmonie Hoffnung auf Besserung hegen, hatte Hancock doch neben Lionel Loueke an der Gitarre und James Genus am Bass mit dem Schlagzeuger Justin Tyson und der Flötistin und Sängerin Elena Ayodele Pinderhughes zwei junge Gesichter mit auf die Reise genommen. Tatsächlich erwies sich die zauberhaft gespielte Flöte als Aktivposten - aber leider als einer von wenigen. Denn auch diesmal setzte Hancock wieder auf eine form- und strukturlose Aneinanderreihung von Effekten und Zirkusnummern.

Schon "Overture" geriet nach einer Kakofonie am Synthesizer zu einem Medley halbseidener Sound-Demonstrationen, mit denen Loueke und Hancock den Gesang zu Kitsch gerinnen ließen. Bei all diesem Gewusel wollte sich auch nur selten der alte Groove einstellen, selbst "Cantaloupe Island" war kaum mehr "funky, funky". Und kaum ein Motiv wurde einmal vernünftig ausgespielt, allzu selten auch nutzte Hancock den schönen Flügel - die zwei halben Soli, die er darauf spielte, waren Andeutungen dessen, wie der Abend auch hätte werden können. Stattdessen erklang pseudo-experimenteller, altbackener, ja geschmackloser Fusion-Kram, den die von Herbie Hancock so gelobte junge Generation von Jazzmusikern bereits weitgehend entsorgt hat.

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Quelle:
SZ vom 15.11.2019
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