Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Große Freiheit

Der Trompeter Tomasz Stanko in der Unterfahrt

Von Ralf Dombrowski

Als Tomasz Stanko zu spielen anfing, hatte der Jazz viele Entwicklungen noch vor sich. Es gibt TV-Aufnahmen aus den Sechzigerjahren, die den jungen Mann als etwas nervösen, aber musikalisch gierigen Trompeter präsentieren, der im Ensemble des bereits renommierten Pianisten und Komponisten Krzysztof Komeda nach Möglichkeiten sucht, dem klanglichen Gefüge Eigenes hinzuzufügen.

Stanko blieb dran, durchlief Phasen des freien Spiels, der elegischen Moderne und der Pflege der künstlerischen Energieentwicklung, die ihn vor allem eines gelehrt haben: Man muss der Musik ihren Lauf lassen. Wenn er sich nun kurz vor seinem 75. Geburtstag wieder auf den Weg macht, um in der Unterfahrt das Publikum am aktuellen Stand seiner Erkundungen teilhaben zu lassen, dann stellt er eine daraus folgende Mixtur aus Offenheit und System, Freiheit und Erfahrung vor. Denn auf der einen Seite stehen sein Ton, stark, klar und trotz Volumens weich, seine Vorliebe für Legato-Phrasierungen oder auch seine an Ornette Coleman anschließende kompositorische Idee, Linienbildung und Songdramaturgie an Strukturmuster anzulehnen, die dem Atmen, dem Wechselspiel von Luftholen, Pause, Entladung ähneln. Auf der andere Seite umgibt er sich mit Musikern, die als starke Charaktere diese Haltung mit Individualität füllen, ohne sie grundlegend in Frage zu stellen. Der Pianist Alexi Tuomarila ist dabei noch der zurückhaltendste, denn er sorgt dafür, dass Stankos Musik einen harmonisch schillernden, auf kammerjazzig romantische ebenso wie stellenweise porösen Rahmen bekommt.

Der Bassist Reuben Rogers und der Schlagzeuger Gerald Cleaver hingegen sind als rhythmisch-melodisches Gespann bereits soweit draußen, dass sie eigentlich auch ohne die leitenden Instrumente ein Konzert spielen könnten. Es ist, neben der Kraft der Klänge an sich, dieses Miteinander der Optionen jazzmusikalischer Bedeutung vor dem Hintergrund der Gelassenheit, das Stankos Konzert zu etwas Besonderem macht.

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Quelle:
SZ vom 06.04.2017
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