Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Grenzerfahrung

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Münchner Philharmoniker unter Semyon Bychkov

Von Klaus Kalchschmid, München

Nicht zuletzt als Musik für den schönen Tadzio in Viscontis "Tod in Venedig" wurde es der populärste, aber auch ob seines angeblichen Kitsches der am meisten gescholtene Symphonie-Satz Gustav Mahlers: das "Adagietto" seiner 5. Symphonie. Es ist freilich, nur von Streichern und Harfe gespielt, von wohltuend liedhafter Schlichtheit angesichts des Nebeneinanders von Ernst und Parodie, hohem Pathos und Abstieg in die Niederungen von Militär- und Wirtshausmusik in den vier schnelleren Teilen. Daraus resultiert eine stilistische Vielfalt, die je nach Standpunkt klingt wie ein gewaltiger Kosmos, bunter Flickerl-Teppich oder eine Musik gewordene vielköpfige Hydra.

Am Samstag spielten die Münchner Philharmoniker dieses "Adagietto" unter Semyon Bychkov ohne klebriges Sentiment und doch nicht gefühllos, weder zu schnell noch zu langsam. Begonnen hatte die Fünfte mit einem Trauermarsch, der irgendwann ins plakativ Unernste kippte. Das gelang noch gut, während andernorts Bychkov und die Philharmoniker um Zusammenhang und auch um den Erhalt von musikalischer Spannung ringen mussten, was gerade bei dieser Symphonie einer Quadratur des Kreises gleichkommt. So plätscherte der Beginn des Finales erst einmal vor sich hin, bevor das Ganze lärmend Fahrt aufnahm.

Als ob diese Symphonie mit ihren 75 Minuten nicht für sich allein stehen könnte und genug Probenzeit frisst, war zunächst Thomas Larchers "Konzert für Orchester" angekündigt, wohl die vor einem Jahr von Bychkov in Wien uraufgeführte 2. Symphonie "Kenotaph". Jetzt gab es als Einleitung Tschaikowskys schwergewichtige "Symphonische Phantasie" unter dem Titel "Francesca da Rimini". Sie stellte mit dem Kontrast von Höllenquallen zu Beginn und am Ende zur Liebes-, Sehnsuchts- und Todesmusik Francescas im Zentrum schon mal die Weichen für ein oft die Grenzen der Dynamik bis zum Anschlag ausreizendes Musizieren.

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Quelle:
SZ vom 06.06.2017
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