Kurzkritik:Gockeltanz

Das englische Elektro-Punk-Duo "Sleaford Mods" im Backstage

Von Christian Jooß-Bernau

Schlagzeug, Verstärker, Gitarren, Bass - kann alles weg. Die Vorband RVG aus Melbourne war eine angenehme Erinnerung an die Neunziger: Riot-Grrrl-Underground-Emotionen. All dies war gestern. Es bleiben Fritz-Kola-Kästen, auf ihnen ein mit Stickern zugepappter Laptop und ein Mikro mit Ständer. Das Ornamentalste an Andrew Robert Lindsay Fearn ist sein Name. Er hat eine Hand in der Tasche und in der anderen ein Bier. Nimmt er die Hand aus der Tasche, drückt er eine Taste und sein Sound ballert los. Andrew schüttelt im Rhythmus den Kopf und trinkt. Jason Williamson bewegt sich am Mikro in einer Mischung aus Gockeltanz und Cancan. Aus ihm tackert Text. Eine irre manische Qualität hat dieses Sprechenmüssen. Bei "fuck you", "fuck it" und fuckin' cunt" puffen Spuckenebel ins Scheinwerferlicht.

Im Sound der Sleaford Mods aus Nottingham hat sich der Klang der spätmodernen Arbeitswelt als Sample abgelagert. Mikromotorensirren in "Into The Payzone", immer wieder, wie in "B.H.S.", ein Computer-Sound wie das Aufploppen einer Mail im Posteingang. Die meisten Songs bei ihrem Backstage-Auftritt sind von ihrem neuen Album. "Eton Alive" heißt es und rekuriert auf die englische Elite-College-Absolventen-Bande, die mit einer bescheuerten Show die working class ablenkt, um derweil das Land zum eigenen Vorteil gegen die Wand zu fahren. So sieht das Williamson, der wirkt wie ein Typ, der vieles für eine Schlägerei geben würde, der aber auch eine Lektüreliste hat - auf der steht Guy Debords neo-marxistischer Theorieklassiker "Die Gesellschaft des Spektakels".

Würde man die Texte aus dem Sound filtern können, man würde zwischen den Wutausbrüchen hineingezogen in einen aberwitzig subtilen, digital industrialisierten Bewusstseinsstrom. Man kann sich wenig Gegensätzlicheres zu Boris und seinen Mates vorstellen als einen Pub-Typen mit scharfem Blick für Sein und Bewusstsein und dieser Fuck-off-Haltung, der in sein Mikro bellt: "There's only one course: discourse".

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