Kurzkritik:Glücksgefühle und Sexphantasien

Lesezeit: 1 min

Jochen Distelmeyer gibt im Volkstheater-Foyer ein Konzert, dem man nur mit Superlativen beikommt

Von Martin Pfnür, München

Am Ende dieses formidablen Konzerts im ausverkauften Foyer des Volkstheaters steht ein Gruß an die immer noch größte aller Referenzen. Jochen Distelmeyer spielt "Free as a Bird", eine alte Songskizze John Lennons, 1995 von McCartney, Harrison und Starr vollendet, quasi das letzte Beatles-Stück. Spontan aus dem Ärmel geschüttelt ist dieser finale Song des Abends natürlich nicht. Er steht dort symbolisch für den Werdegang eines Musikers, der sich seit jeher allen Erwartungen entzieht.

Distelmeyer, Sänger, Gitarrist, gescholtener Autor und Kopf der 2007 aufgelösten Band Blumfeld, ist als Künstler längst an einem Punkt völliger Souveränität angelangt. Er ist selbst, da besteht kein Zweifel, "free as a bird". Wie anders lässt sich dieser Abend erklären, den der 47-Jährige etwa mit Stücken von Britney Spears oder Avicii bestreitet, den er mit Exkursen über Songs als Masturbationsphantasien und allerlei Animations-Klamauk garniert - und dabei doch ein Konzert spielt, dem man nur mit Superlativen beikommt.

"Songs From The Bottom" nennt sich das Album, das er mit dem Keyboarder Daniel Florey im Volkstheater vorstellt. Es vereint Songs unterschiedlichster Interpreten wie Radiohead, Al Green oder Lana Del Rey, die sich Distelmeyer zu eigen macht, indem er sie bei Bedarf entrümpelt und mit glasklarer, voluminöser Stimme, mit feinem Gitarrenspiel auf der Akustischen ihren melodischen Kern erkundet.

Live ergibt das eine selten schöne Form musikalischer Unmittelbarkeit, die das Duo fördert, indem es zusätzlich eine Handvoll neuer Cover wie das grandios entstaubte, entschlackte und entfalsettierte "Tragedy" der Bee Gees einstreut. Und klar: Zur Zugabe kehrt Distelmeyer wie eh und je rauchend auf die Bühne zurück, steckt die Zigarette vorn an den Gitarrenhals und spielt "Tausend Tränen Tief" als erstes von insgesamt vier Blumfeld-Stücken. Es ist eines dieser Lieder, für die ihn manch früher Fan am liebsten auf den Mond geschossen hätte. Im Foyer des Volkstheaters weiß man an diesem Abend indes kaum, wohin mit all dem Glück.

© SZ vom 18.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: