Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Gespür für Nuancen

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Dina Ugorskaja mit drei Sonaten von Beethoven im Herkulessaal

Von Andreas Pernpeintner, München

Die Arietta aus Ludwig van Beethovens Klaviersonate op. 111 als Kulminationspunkt zu begreifen, verdient keinen Innovationspreis. Fast alles, was Beethoven für Klavier komponiert hat, findet hier die Erfüllung. Bei "Klassik vor Acht" im Herkulessaal mit Dina Ugorskaja und den letzten drei Beethoven'schen Klaviersonaten ist die Arietta jedoch nicht nur das kompositorische, sondern auch Ugorskajas interpretatorisches Ziel. Alle Spuren, die sie zuvor bei den Sonaten op. 109 und 110 gelegt hat, treffen bei ihr zum Finale des Sonaten-Triptychons zusammen.

Kurz möchte einen eingangs bei der Opus 109 der Verdacht beschleichen, Ugorskajas sanfter Anschlag sei zu weich, der Klang etwas diffus. Das ist er in keiner Weise. Er ist so milde, dass die Musik ohne scharfe Kanten und Grate auskommt. Die Konturen sind trotzdem präzise und fasslich - darin zeigt sich Ugorskajas Gespür, klangliche Nuancen auszutarieren. Besonders schön klingt dadurch ihre Melodiezeichnung: Die Oberstimme ist manchmal geradezu ätherisch, doch Ugorskaja erdet sie zugleich mit ihrer präsenten linken Hand. Zwischen den Sonaten wünscht die Pianistin keinen Applaus; sie teilt es durch ihr Verharren über der Klaviatur deutlich mit. Das Publikum bemüht sich. Beethoven aber durchkreuzt den Fluss ohnehin: Der Kopfsatz der Opus 111 ist so markant, dass ein Kontrast zu Ugorskajas bisheriger Tongebung unausweichlich ist. Sicherlich, den Sonatenanfang, den andere in Stein meißeln, spielt sie beinahe sinnierend. Schon die folgenden Unisono-Läufe aber verlangen stupende Virtuosität, auf die sich Ugorskaja mit dezidiertem Ton einlässt. Das ist eine bemerkenswerte Ergänzung ihres Ausdrucksvermögens.

Es folgt die Arietta, und Ugorskajas Darbietung ist bestechend. Sie begreift den Satz nicht als entrückte Verzückung, sondern bei allem Zauber als sangliche und zielgerichtete Musik, die ein klares Tempo kennt. Wie homogen die einander ablösenden musikalischen Abschnitte dadurch im Gesamtbild beleuchtet werden, ist wunderbar.

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Quelle:
SZ vom 06.12.2018
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