Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Genau so

Isabel Kotts "Bilder deiner großen Liebe"

Von Egbert Tholl

"Verrückt sein heißt doch nur, dass man verrückt ist, und nicht bescheuert." Also ein bisschen neben jener Spur, auf der das normierte Leben funktionstüchtiger Menschen abläuft. Wolfgang Herrndorf hatte eine Moral und ein Herz für Menschen, die sich nicht ganz so verhalten, wie man sich verhalten soll, er schrieb den Roman "Tschick" und dann schrieb er weiter, für die Isa, die darin vorkommt, ein eigenes Buch. "Bilder deiner großen Liebe" hat Herrndorf nicht mehr vollendet, er nahm sich, tödlich an Krebs erkrankt, vor seinem Abschluss das Leben. Nichtsdestotrotz führt die Isa seit Frühjahr 2015 ein vielgestaltiges Leben auf deutschen Bühnen, in Gestalt von Birte Schöink war sie im vergangenen Jahr bei "Radikal jung" zu Gast, nun lebt sie im Hofspielhaus. Dort ist Isabell Kott Herrndorfs Isa, inszeniert hat sie Eos Schopohl.

Hart fällt Isabel Kott in den Innenhof des Hofspielhauses. Dort steht ein Stapel aus sechs Autoreifen, mehr Ausstattung gibt es nicht, ein Lampe noch, ganz am Ende eine an die Wand projizierte Landschaftszeichnung von Veit Relin, das war's. Kott steht vollkommen ohne Schutz vor dem Publikum, aber sie braucht keinen, sie ist einfach da, spielt die Isa, erzählt von der Isa, erzählt, was Isa sich so ausdenkt. Herrndorfs Geschichte ist eine Art Road-Movie zu Fuß, barfuß, weil wenn man keine Schuhe hat, kann man auch die Socken ausziehen. Vielleicht denkt sich Isa alles aus, was sie erzählt, vielleicht stimmt das alles gar nicht, dass sie sich ihre Menstruation mittels Rasensprenger auf einem Fußballplatz abwischt oder die Sache mit dem Kapitän auf dem Flusskahn.

Kott ist die energiegeladene Idealverkörperung einer Figur, die die Welt auf sehr eigene Art wahrnimmt, mit einem Weberknecht redet und die Sterne in einer Pfütze zittern sieht. Sie leuchtet voller Euphorie bei diesen Dingen, die Natur sind, sie setzt hinter jeden Satz ein stummes "Ja, so ist es!". Genau so, klar und voller großer Poesie.

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Quelle:
SZ vom 06.07.2019
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