Kurzkritik:Frei nach Brahms

Das außergewöhnliche "Stegreiforchester" im Prinzregententheater

Von Ekaterina Kel

Wer hat eigentlich behauptet, dass schwarze Abendgarderobe den Orchestermusikern am besten steht? Die Musiker des Stegreiforchesters brechen das gewohnte Bild und bleiben im Prinzregententheater lieber lässig: orangefarbene Schlaghosen, weinrote Schlabbershirts. Dass dieser Abend noch an einigen anderen Konventionen rütteln wird, wissen die Zuschauer schon beim Betreten des Saals.

Die 26 Musiker, alle in ihren Zwanzigern, stehen mit geschlossenen Augen an der Bühnenrampe, fassen sich an Händen und Schultern und schaukeln leicht hin und her. Jeder hält sein Instrument und summt. Dazu gibt der Schlagzeuger einen tranceartigen Rhythmus, in elektronisch erzeugtem Loop brummelt eine Geräuschkulisse. Willkommen bei #freebrahms, dem neusten Projekt des außergewöhnlichen Orchesters aus Berlin.

Auf Noten oder Dirigenten wird verzichtet. Alle, auch Schlagzeuger, Paukist und die zwei Cellistinnen bewegen sich frei im Raum. Eine spezielle Choreografie führt durch den Abend. Johannes Brahms' Musik zu befreien, heißt beim Stegreiforchester aber noch mehr: Die dritte Symphonie des ehrwürdigen Komponisten dient als Arbeitsstoff, den sie radikal zerschnippeln und von dem nur noch Fragmente, losgelöst vom Kontext, auftauchen. Als Kleber dient der noch etwas unschuldige, aber sehr bewusste Jazz-Spirit der Musiker und ihre unbedingte Liebe zur Improvisation. Mal schmettert Konstantin Döben ein Rausch von einem Trompetensolo in den Saal, mal gibt sich Anne-Sophie Bereuter avantgardistischen Spielereien auf ihrer Geige hin und ja, auch Gesang gehört zu den Ausdrucksmitteln, also setzt sich die Oboistin Laura Totenhagen auf den Boden und gibt eine Gesangsfantasie zum Besten.

Freiheit ist das, wonach diese Musiker streben und woher sie kommen. Der künstlerische Leiter und ehemalige Waldorfschüler Juri de Marco (Horn) prägt eine alles umarmende Philosophie, die dem Orchester beim Spielen aus jeder Pore quillt. Man muss sich darauf einlassen können. Und spätestens als der Salsa sich durch alle Passagen bricht und Zuschauer auf die Bühne hüpfen, um zu tanzen, bleibt kaum jemand ungerührt.

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