Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Feuerkopf

Lesezeit: 1 min

Jockel Tschiersch in der Lach- und Schießgesellschaft

Von Oliver Hochkeppel, München

Vorab bedankte sich Jockel Tschiersch bei denen, die am ersten Biergartentag nach dem Dauerregen in die Lach- und Schießgesellschaft kamen. "Ich hätt's nicht gemacht." Ein Gestus der affektierten Bescheidenheit natürlich, denn angesichts der starken Fernsehpräsenz des seit vielen Jahren in Berlin lebenden Allgäuers und seiner Münchner Vorgeschichte unter anderem im legendären Duo mit Ottfried Fischer hätte man schon einen vollen Saal erwarten können. Und Tschiersch hätte ihn auch verdient gehabt, denn hier bekam man die volle Packung des multiplen Feuerkopfs ab, nicht einen einzelnen Ausschnitt wie den Darsteller Allgäuer Bauernfünfer, den "Kluftinger"-Vorleser oder den - einst ja auch an der deutschen Journalistenschule ausgebildeten - Autor skurriler Romane.

Apropos Romane, sein jüngster "Dschihad happens" spielt nun eine wichtige Rolle im neuen Kabarettsolo "Klassenclown mit 60": Die wüste Geschichte um einen mit allen Filmklischees angereicherten Dreh in Albanien, der zum Zielobjekt eines IS-Attentäters wird, liest Tschierschs Bühnen-Alter-Ego Flüchtlingen zum Deutschlernen vor, in seinem "Trinkshop" in Berlin-Wedding. Da rückt dann selbst irrtümlich ein SEK-Kommando an, weswegen der Vorleser flüchtet - und beim 40-jährigen Abiturtreffen einer alten Flamme und einem ihn alsbald als provokanten Böhmermann-Klon vermarktenden, zum durchtriebenen Event-Manager aufgestiegenen Klassenkameraden begegnet.

Für drei bis vier Programme würden all die Seitenstränge, Wendungen und Szenen (sensationell etwa eine auf dem Weddinger Postamt) reichen, die Tschiersch in diesem Drei-Ebenen-Stück rasant und darstellerisch fulminant über die Bühne wuchtet. Sein Talent für Dialekte lässt die famosen Texte noch mehr glänzen, in denen sich Alltagssatire mit unterkühlt-zynischer Systemkritik und der vielleicht ersten gelungenen Farce zum islamistischen Terror mischt. Grandios. ( Nochmals Donnerstag, 9. Juni).

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3026403
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.06.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.