Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Er ist die Band

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John Scofield in der Unterfahrt: Solo und doch vielstimmig

Von Oliver Hochkeppel, München

Er hätte ja am Flughafen gewartet, aber es sei einfach niemand von der Band aufgetaucht, scherzte John Scofield. Um später einzuflechten, dass er sich natürlich schon auf dieses Wagnis vorbereitet habe, das es nun in der Unterfahrt zu erleben gab: Solo spielte der Jazz-Gitarren-virtuose da erstmals. Und schnell kristallisierte sich der vielleicht größte Vorzug des Unternehmens heraus (abgesehen davon, dass er so "das ganze Geld einstreichen" könne, wie der Spaßvogel auch noch ulkte, der normalerweise in ganz anderen Saalgrößen und sicher auch zu anderen Konditionen spielt): dass man ausgerechnet bei seiner Solo-Show gleich mehrere Scofields genießen konnte. Denn der Meister hatte zwar keine Begleiter, dafür aber eine Loop-Station dabei, und so konnte man immer wieder eine originale Scofield-Begleitung oder sogar Rhythmusgitarre hören, über die sich dann originale Scofield-Melodiestimmen oder Improvisationen legten.

Vieles von dem, wofür Scofield berühmt ist, eignet sich indes schlecht für dieses Setting, seine funkigen Fusion-Sachen zum Beispiel. Also griff er ausführlich auf klassische Gitarrenmusik zurück, die auch ihn, den Mann aus Dayton, Ohio, musikalisch sozialisierte, bevor er in die Jazzwelt auszog, mit den ganz Großen von Billy Cobham bis Miles Davis spielte und schließlich mit seinen eigenen Bands einer der knorrigsten, unverwechselbarsten Vertreter seines Fachs wurde: Folk- und Country-Music, vom Hank-Williams-Gospel "The Angel of Death" (dessen düsteren Text Scofield genüsslich als Sprechgesang einflocht) über Fingerpicking-Klassiker bis zum Leadbelly-Medley.

Freilich, Scofield spielte das natürlich nicht in historischer Aufführungspraxis, da gibt es Berufenere, auf die er teilweise selbst hinwies, sondern auf seine ganz eigene Art. Legte über die fast schon kitschigen Legato-Melodien seinen typischen, immer leicht verzerrten, mitunter fast als unsauber empfundenen Ton und harmonisch weit ausgreifende freie Passagen (Inside-Outside-Improvisation nennen das die Musikwissenschaftler). Und erweiterte diese Americana-Show auch mal um Swing-Standards ("It Can Happen To You"), die Beatles oder ein Charles-Mingus-Medley. Letzteres vielleicht auch nur, um die wunderbare Anekdote erzählen zu können, wie er damals für das letzte Mingus Album engagiert wurde und zwar in der riesigen Studio-Band spielte - aber nie dazu kam, mit dem bewunderten Meister auch nur ein Wort zu reden. Ein entspannter, launiger und anregender Abend also. Der anfangs durchaus nervöse Scofield ist jetzt jedenfalls gerüstet, falls seine Band wirklich mal nicht auftaucht.

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Quelle:
SZ vom 11.02.2019
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