Kurzkritik:Enorme Dichte

Lesezeit: 1 min

Leonidas Kavakos beim Symphonieorchester des BR

Von Paul Schäufele, München

Wenn die Luft um ihn sirrt, ist sein Klang am klarsten: Mit Schostakowitschs erstem Violinkonzert gelang Leonidas Kavakos, "Artist in Residence" beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, eine Aufführung von enormer Intensität und dramatischer Dichte. Auf den schlichten Nachtgesang, bei Kavakos eine gläserne Melodie, die sich vom dunklen Orchestergrund auch im Pianissimo deutlich abhebt, folgte das wegen seiner komplex polyphonen Faktur berüchtigte Scherzo. Die BR-Symphoniker unter Cristian Măcelaru nahmen in der Passage, die jüdische Tanzweisen zitiert, viel von jener Brutalität vorweg, die nach der Pause folgen sollte. Mit minimalem physischem Aufwand kommentierte Kavakos die Orchesterchoreografie, präzise kratzend und der Gefahr widerstehend, selbst in dem unheimlichen Sog mitgerissen zu werden.

In der Passacaglia präsentierte sich dieser musikalische Stoizismus in voller Größe: Gegen den unerbittlich fortschreitenden Basso ostinato spielt die Violine an, entschieden, kraftvoll, letztlich vergebens. Die anschließende Kadenz wurde bei Kavakos zur klangfarbenreichen Reflexion über die Schrecken der vorangegangenen Episoden. Wie eigenartig fügte sich die Zugabe ins Programm: Die Bachsche Sarabande aus der zweiten Partita, eine ferne Erinnerung an einen Tanz.

Umso präsenter wirkte dann Strawinskys "Sacre". Măcelaru durchleuchtete die Partitur, machte bei äußerster rhythmischer Präzision alle Details hörbar und hielt sich nicht zurück beim Klangvolumen. Doch die Stärke seiner Interpretation lag in etwas anderem. Der junge Rumäne beschränkte sich nicht auf die Ausgestaltung der archaischen Krafteruptionen, sondern hatte erkannt, dass der eigentliche Horror in diesem Ballett vom Menschenopfer in den dezidiert schönen Stellen liegt. Die BR-Symphoniker spielten sie irritierend gesanglich. Ein Abend voller Tänze am Abgrund - am Ende spürte man jeden Muskel.

© SZ vom 03.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: