Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Druff oder Dada?

Der österreichische Rapper Yung Hurn im Backstage

Von Stefan Sommer

Beseelte Frauen und Männer, die mit einer Hand ein Feuerzeug, mit der anderen ein Smartphone in der Luft schwenken: die Vergangenheit und Zukunft der Popmusik in einem Bild. Vorne auf der Bühne des Backstage steht der junge Rapper Yung Hurn - oben ohne, stark tätowiert - und singt mit Howard-Carpendale-Blick: "Baby, du glitzerst wie ein Diamant, komm mit zu mir, ich nehm' dich an die Hand." Kurz davor hatte er minutenlang mit geschlossenen Augen "Jajajajaja" in sein Mikro gebrüllt.

Yung Hurn alias "K. Ronaldo", alias "Süssiboi", alias "Donaustadt Locoboy 69" ist ein Paradiesvogel: Der Wiener hat viele Namen und größte Freude am Verkleiden. In VHS-Ästhetik gehaltenen Clips inszeniert sich Hurn mit Neunzigerjahre-Requisiten als Loveparade-Raver. Er singt in seinen millionenfach geklickten Youtube-Videos am liebsten von österreichischem Billig-Vodka, Popos, Opernsängern, Skisprung-Idolen, Altbauwohnungen - und eben Kokain. So weit, so Falco. Seit 2015 hat der Schüler von Künstlerguru Daniel Richter seine dauerdruffe Figur zum verschwitzten Gesicht eines eigenen Genres gemacht: Cloud-Rap. Zwischen Chatverlauf und Dada-Proseminar brabbelt, murmelt und stottert Yung Hurn in Hits wie "Bianco" und "Nein" von der großen Betäubung - seine Slogans sind die Otto-Witze auf den Schulhöfen im Jahr 2018.

So kennt natürlich auch das Publikum im Backstage jede dieser genial minimalistischen Parolen, die mehr ein Gefühl artikulieren als einen Begriff oder eine Idee. Ruft Hurn: "Meine Freunde nehmen jetzt Drogen?" in die Halle, schallt es: "Ok, cool!" zurück. Live funktioniert der selbstbewusste Dilettantismus, der in seinen Clips nach Punk und Verweigerung aussieht, aber leider nur selten. Songs, die für Streaming-Playlisten konzipiert und Texte, die für eine Snapchat-Nachricht erdacht sind, tragen im Kontext eines Konzerts nur bedingt. Skateboard-Unfälle sind in der Realität wahrscheinlich auch eben nur halb so witzig.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2018
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