Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Die Hausheilige

Edita Gruberova bei der Festspiel-Gala im Nationaltheater

Von Andreas Pernpeintner

Trotz aller Handküsse, Blumen, Präsente, Transparente, trotz des dreiviertelstündigen finalen Jubelsturms, den das Publikum im Nationaltheater für die Hausheilige Edita Gruberova bei deren Festspiel-Gala entfesselt, ist es ein anderer Moment, der zeigt, wie bemerkenswert dieser Abend ist: Soeben wurde jene Musik gegeben, die den dritten Akt von Verdis "La traviata" so bewegend macht, und um Violettas Sterben angemessen zu besingen, waren weitere Solisten auf die Bühne gekommen. Nun hält der Tenor Dovlet Nurgeldiyev (Alfredo) beim Applaus seine Violetta Gruberova im Arm, die merklich älter ist als er, und hat Tränen in den Augen. Tränen der Überwältigung, weil Gruberova und er so schön harmonierten? Aber auch Tränen der Wut wären verständlich. Es ist nämlich eine wirkliche Gemeinheit der Musikgeschichte, nicht ausreichend für Gruberova vorgesorgt zu haben, denn es bräuchte viele Paraderollen für eine Frau über 70, die seit 50 Jahren auf der Bühne steht und singt wie eine Sopranistin auf der Höhe ihrer Schaffenskraft.

Erklärbar ist das wohl nur durch ein wundersames Zusammentreffen von Fügung und frappierend idealer Gesangstechnik: Die zeigt sich bei den aberwitzig hohen, perfekt zelebrierten Koloratur-Wundergebilden der Arie "Ah! non credea mirarti" aus Bellinis "La sonnambula", natürlich beim sprühenden Witz von "Mein Herr Marquis" aus der "Fledermaus" (gesungen als zweite Zugabe nach "Dich, teure Hallen" aus dem "Tannhäuser"). Doch ganz besonders hervorzuheben ist auch die erste Programmhälfte: Eigentlich sind die vor der Pause dargebotenen Mozart-Arien (aus der "Entführung", dem "Don Giovanni" und dem "Idomeneo") keine typische Literatur für zünftige Gala-Abende.

Doch es geht bei dieser Gala eben nicht nur um das Hochfest, sondern um ernstzunehmende Interpretation (wozu auch die vom Staatsorchester unter der Leitung des schweißüberströmten Marco Armiliato gespielten Ouvertüren beitragen). Wie klar Edita Gruberova leiseste Spitzentöne ansingt, mit langem Atem öffnet, schließt, wie berückend sie herrliche Färbungsnuancen aussingt, gestaltet, formt, ist phänomenal.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4040347
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.07.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.