Kurzkritik:Der Sog der Welt

"Narcopolis" - ein Trip durch Mumbai im Pathos

Von Egbert Tholl

Erst einmal wird geputzt, gewaschen, werden Schnüre durch den Raum gespannt, Wollschnüre, Leuchtschnüre, Plastikschnüre, an denen dann Plastikflaschen und Plastiktüten hängen, Plastik, Sinnbild des Mülls der Zivilisation. Was dann hier passiert, ist das Gegenteil davon. Von Plastik. Es ist ein Trip durch die flirrende Metropole Mumbai, durch deren Untergrund, in welchem die Huren, die Dealer und die Drogensüchtigen hausen. Aber es ist auch noch viel mehr: Willkommen in "Narcopolis".

Ach, so schön ist das alte Pathos an diesem Abend. Als habe der Raum schon alle Abgründe der Welt erlebt. Gut, Jeet Thayil hat sich eigentlich gedacht, dass Theater in Deutschland anders aussähen. Aber ans Pathos gewöhnt hat er sich dann offenbar doch schnell, steht entspannt herum und macht zusammen mit seiner Landsfrau Ditty Musik. Oder besser: Sie macht Musik und er macht ein bisschen mit. Singen können beide, Gitarre spielen auch, aber Ditty kann auch noch elektronisch zaubern, Songs bauen und ein atmosphärisches Hörbild der Stadt schaffen, das einen in sich hineinsaugt, man wollte für Stunden, aber so lange dauert es nicht.

Schuld ist Jörg Witte. Der lernte vor zwei Jahren den Autor, Musiker, Künstler Thayil auf einer Lesereise kennen und überredete ihn, gemeinsam mit ein paar Gleichgesinnten dessen hochgelobten und tatsächlich verführerischen Roman "Narcopolis" auf die Bühne zu bringen. Die Umsetzung des Vorhabens dauerte dann ein wenig, aber das Kulturreferat gab Geld und Jeet Thayil kam. Nun taucht er ein in die von den fünf Schauspielern erschaffene Welt, in der auch Privates aus deren Leben auftaucht, Biografien verschlingen sich zu einem Weltknäuel. Alle rezitieren aus dem Roman, die beiden Gäste aus Indien auf Englisch, der Sprache, in der Thayil schreibt, und schon versteht man, wie das Buch wirkt, ein rhythmisierter Flow, kaum endend, Krasses, Drangsal, Not und viel Poesie umspülend - so geht Performance, noch bis 4. Dezember.

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