Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Der erste Mord

Das Orchester Jakobsplatz mit einem Oratorium von Scarlatti

Von Egbert Tholl

So schnell geht das mit der Namensänderung offenbar doch nicht: In dieser Saison heißt das Orchester Jakobsplatz noch Orchester Jakobsplatz, von kommender Saison an dann Jewish Chamber Orchestra Munich. Als Orchester Jakobsplatz spielte es nun nicht am Jakobsplatz, sondern im Künstlerhaus am Lenbachplatz, führte Scarlattis Oratorium "Il primo omicidio" ("Der erste Mord") auf. Chefdirigent Daniel Grossmann habe, so erzählt er vorab, das Werk vor 20 Jahren in der Klassikabteilung vom Kaufhaus Beck per Zufall gehört; damals kam gerade die Aufnahme von Rene Jacobs heraus, die es einem wirklich leicht macht, sich in das Stück zu verlieben. Das tat Grossmann, wie er erzählt, doch da er selbst ein sehr gegenwärtiger Mensch sei, der mit Wundern und Religion nicht viel am Hut habe, suchte er nach einer besonderen Form für die Aufführung. Denn Oratorium Anfang des 18. Jahrhunderts bedeutet: musikalische Struktur wie in der Oper, Inhalt wie in der Kirche. Bei Scarlatti hört man die Stimme Gottes selbst, bei Grossmann nicht, doch hier wie dort geht es um den Mord Kains an Abel.

Grossmann behält drei Figuren, Mama Eva, Kain und Abel, streicht die Rezitative und gibt dafür Sibylle Canonica Texte zum Vortragen, was die natürlich wunderschön macht. Diese Texte - Imre Kertész, Erich Mühsam, Hannah Arendt, Hilde Domin - korrelieren mit der Geschichte, werden zu Kommentaren und Weiterführungen der Inhalte der Arien. Diese wiederum singen drei Damen aus dem Opernstudio der Bayerischen Staatsoper, Selene Zanetti mit echtem Gespür für Barockmusik, Anna El-Kashem mit durch nichts zu erschütternder Durchschlagskraft und Niamh O'Sullivan mit betörend schöner, dunkel vibrierender Stimme. Wenn sie noch die für die Koloraturen erforderliche Beweglichkeit trainiert, dann wird es noch ganz großartig mit ihr. Natürlich ist das Orchester Jakobsplatz kein Barock-Ensemble. Das merkt man in der Agogik, da bleibt das Meiste flach. Klanglich jedoch steht den Musikern Scarlatti gut.

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Quelle:
SZ vom 08.05.2018
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